Montag, 7. Juni 2010

Israelisches Tagebuch 31

Liebste Freunde, teuere Freunde,

ich will mich bei Euch bedanken. Vom tiefsten Herzen bedanken. Euere Reaktionen und Kommentare, von Florian und Thomas aber auch die vielen Emails die ich seit dem letzten Eintrag bekommen habe haben mich sehr berührt. Es ist nicht einfach zurzeit hier zu sein – es ist nicht einfach sich zurzeit Israeli zu nennen, und die Hoffnung zu behalten, man hat Freunde im Ausland die sich von einem nicht abwenden. Auch wenn in einigen der Emails harte Kritik zu lesen war – die ich auch gerne als öffentliches Kommentar begrüßen würde – fand ich die Tatsache, wie man Thomas geschrieben hat, dass man miteinander kommunizieren kann, tröstend.

Ich bin grad zurück aus der wüste gekommen, wo wir fast zwei Wochen lang "Nabucco" von Verdi gespielt haben. Wir waren von der Außenwelt abgeschnitten – der Beitrag, den ich am Freitag geschrieben habe, entstand aus einem kurzen Besuch zuhause bevor ich wieder gen totes Meer fahren musste. Ich habe kaum die Nachrichten gelesen oder gehört, und ich muss zugeben, es war für mich wie eine Erholung. Als ich am Montag zum ersten Mal gehört habe, ein Schiff wurde gekapert und 9 Menschen sind dabei ums Leben gekommen, ist mir schwarz vor Augen geworden. Die Flut von Nachrichten, die danach kam, blieb mir zum Teil also erspart.

Eine gute Freundin aus den USA schrieb nach dem letzten Beitrag – stell Dir vor, es wäre ein israelisches Schiff vor der Küste der Türkei, und die türkische Armee hätte neun Israelis umgebracht. Was hätte Israel dann gesagt oder getan? K., meine Freundin, hat mit dieser Frage einen wunden Punkt getroffen. Stellt Euch vor, es wäre Eurem Land passiert.

(Bevor ich weiter schreibe möchte ich einen Punkt ganz deutlich und klar machen. Die Blockade des Gaza Streifens, sowie die ununterbrochene Besatzung und Ansiedlung der palästinensischen Gebiete sind ein Verbrechen, das unter anderem in meinem Namen ausgetragen wird, von einer Regierung die blind, dumm, ängstlich, und deshalb auch böse handelt. Es ist der Sinn der Demokratie – ich habe zwar Netanjahu nicht gewählt, trage aber als israelischer Staatsbürger die politische Verantwortung (über die schon Karl Jaspers geschrieben hat in seinem Buch "Die Schuldfrage") für die Taten und Misstaten meiner Regierung. Ich demonstriere, ich schreibe diesen Blog als eine vernünftige Stimme Israels, ich versuche Unrecht da zu verhindern, wo ich es sehe. Alles was ich schreibe steht keineswegs in irgendwelcher Diskrepanz zu dieser einfachen Tatsache – die Blockade des Gaza Streifens ist ein Verbrechen. Punkt.)

Auf der einen Seite sagt man, natürlich hat jedes Land das Recht, seine Grenzen zu schützen, und darf eine solche Aktion, die das ausgesprochene Ziel hat das Landesgesetz zu brechen zu stoppen (oder wie ein israelischer Offizier einen amerikanischen Kollegen gefragt hat – was würden die Amerikaner tun, wenn ein solches Schiff nach Guantanamo segeln würde?). Auf der anderen Seite sagt man, kein Land hat das Recht Menschenleben zu nehmen, vor allem nicht wenn es sich um Friedensaktivisten handelt. Stellt es Euch vor – dieses Gefühl – Ihr kennt es vielleicht von dem Fall, als der eine deutsche Offizier in Kunduz, Afghanistan, das Befehl gegeben hat das zu dem Tod von vielen Zivilisten geführt hat (ich weiß dass es hier einen enormen Unterschied gibt. Aber ich wollte etwas aus der nahen Vergangenheit holen, und ich glaube, es ist bezeichnend wie Deutschland mit diesem Fall umgegangen ist)h. Man sagt sich – ein Soldat aus meinem Land kann so was doch nicht absichtlich machen. Die Marinesoldaten, die in der Dämmerung auf das Schiff "Marmara" gegangen sind, darunter mein Freund, waren dort nicht mit der Absicht, Menschen umzubringen. Das kann und will ich nicht glauben. Die Tatsachen, die nach und nach aus den verschiedenen Untersuchungen hervorgehen, auch von diesen der türkischen Regierung, zeigen deutlich dass es auf diesem Schiff anderes lief als auf den anderen Schiffen, weil eine bestimmte Gruppe von fanatischen Islamisten die zum Teil sogar Geld für diesen "Job" bekommen haben sich dort gesammelt hat, die das einzige Ziel hatten – die Soldaten zu attackieren und provozieren, weil sie wussten – die Soldaten werden reagieren, und es wird zu einem Eklat kommen. Und so war es auch. Es ist beschämend, dass solche Menschen sich hinter Friedensaktivisten verstecken. Es ist furchtbar, dass Menschen mit ihrem Leben dafür bezahlt haben.

Ihr könnt Euch Israel grad nicht vorstellen. Man ist auf die ganze Welt wütend, überall hört man ultra-nationalistische Parolen. Auf dem Heimweg habe ich hier in Tel Aviv ein Plakat gesehen, so groß wie ein halbes Fußball Feld, in Form der israelischen Fahne mit der Schrift – "Mitten im See, unser Herz ist mit Euch". Auf diesem Plakat, was auf Strassenhöhe hängt, haben viele Menschen noch was dazu geschrieben. "Die Welt soll sich f…n", "Was macht die Türkei mit den Kurden?", "Es ist egal was die Welt sagt, es ist wichtig was die Juden tun", "Was ist mit dem Armenischen Holocaust, Herr Arduan?" und so weiter.

Ich komme zurück auf die Kommentare, die ich für den letzten Eintrag bekommen habe. Ich bin mir sicher, einige werden erneut sagen – Du rechtfertigst das, was Dein Land getan hat. Du schreibst, die Menschen auf dem "Marmara" waren Terroristen, deswegen war der israelische Angriff in Ordnung.

Beides ist aber, zumindest zum Teil, richtig. Einige der Menschen auf dem "Marmara" waren Terroristen. Wenn man mir sagen will, sie waren "Friedenskämpfer" sage ich den berühmten Satz – kämpfen für den Frieden ist wie Ficken für die Jungfräulichkeit. Wer den Frieden bringen will, der soll mit Worten, mit Artikeln, mit Demonstrationen sich ausdrücken – nicht mit Metallstangen und Messern. Wer gewalttätig handelt, will keinen Frieden. Weder in Irak, noch in Afghanistan, noch bei uns. Auf der anderen Seite, finde ich es verbrecherisch, den Gaza Streifen unter Blockade zu halten mit der Begründung, die Hamas hat den entführten Soldaten Gilad Schalit noch nicht freigelassen. Obwohl ich es nicht verstehe, wieso die Welt in diesem Punkt schweigt – dieser junge Soldat sitzt seit vier Jahren ohne einen einzigen Besuch von dem Roten Kreuz bekommen zu haben – ist die Tatsache seiner Entführung keine Rechtfertigung für das Errichten des "Gaza Ghetto".

Dieser Blog ist aber nicht dazu da, um sich darüber zu streiten wer Recht hat. Wenn Ihr mich fragt, hat sowieso Keiner Recht. Arduan will wegen interner Angelegenheiten den Helden für die islamische Welt spielen, die israelische Regierung und Armee handeln brutal und dumm, geführt von einer Paranoia die sich auf den einfachen Grundsatz beruht – die Welt hasst uns – und die Welt reagiert zum Teil scheinheilig weil es viel einfacher ist mit Israel zu schimpfen als zum Beispiel die USA, die NATO oder Russland zu kritisieren.

Wer aber zurück auf der Stecke bleibt ist das palästinensische Volk in Gaza, diese 1.5 Millionen Menschen die nach wie vor hinter einem Zaun sitzen und darauf warten, dass die Welt Israel ganz einfach sagt – das dürft Ihr nicht machen. Wir sind nicht Iran. Wenn man uns mit Sanktionen drohen wird, werden wir die Grenze aufmachen. Ohne einen Schuss. Ohne einen Toten.

Aber jetzt weht ein böser Wind in Israel. Die Stimmen die sagen – wir müssen mit der Welt und nicht gegen sie arbeiten, werden immer leiser. Man ist überrannt von einer Welle des nationalen Fanatismus, überall ist man "Stolz" und "Patriotisch", die Politiker streiten unter einander wer die Armee besser huldigen und die Araber als eine große verbrecherische Bande bezeichnen kann, man schreit lauter und lauter, als ob man damit die Angst vertreiben will, die Angst die man bekommt wenn man liest dass die Türkei es plant ihre Kriegsmarine hierher zu schicken, wenn man liest, die Hisballa im Norden bekommt mehr und mehr Raketen, wenn man liest, Iran hat in Kürze die Atombombe, aber vor allem wenn man liest wie Freunde aus aller Welt sich von uns angeekelt abwenden.

Ich sage immer, ich liebe mein Land. Das tue ich auch. Dieser Satz ist für einige Deutsche schwer zu verdauen. Ich sage immer, ich bin ein Patriot. Aber vor diesem Patriotismus des Schreiens und Hassens habe ich die größte Angst. Die Welt darf sich jetzt von uns nicht abwenden, grade jetzt nicht. Die Welt soll direkt mit den Israelis reden – nicht mit ihrer Regierung – und sie zur Vernunft bringen. Wenn man Israel jetzt überschütten wird mit Hass und Abneigung, wird man sich nicht wundern dürfen wenn in einigen Jahren sich hier eine Mischung aus Südafrika der Apartheidzeit und Iran entsteht. Es ist unsere Verantwortung als Israelis, diesen Gang der Dinger von Innen zu verhindern. Wir brauchen aber Eure Hilfe. Die Angst hier ist zu groß, die Hass Welle ist zu dunkel. Allein schaffen wir es nicht.

Ich drücke Euch ganz fest und sehne mich nach einer Zeit, in der ich Euch wieder von Ölbäumen, Konzerten und Strandgängen berichten kann.

Euer Ofer

P.S. (es wird ein langer P.S. sein): Auf dem Konzert heute Abend applaudierte das Publikum so lang, dass wir den Chor der hebräischen Sklaven, "Vapensiero" (das habe ich sicherlich falsch geschrieben) noch Einmal spielen mussten. Ihr kennt vielleicht den Text – er handelt um die jüdischen Sklaven in Babylon, die sich nach ihrer verlorenen Heimat sehnen. Der Dirigent, Daniel Oren, ein orthodoxer Jude der in Italien arbeitet, schlug dem Publikum vor, mitzusingen. Das müsst Ihr Euch mal vorstellen. Vor der Massada, dieser alten jüdischen Festung in der Wüste, sitzen 6500 Israelis, darunter ich, und singen ohne Worte zusammen über ihre Sehnsucht nach Zion. Und ich dachte mir, wir sehnen uns nach Israel, nach einem unschuldigen, verlorenen Israel, das es hier mal gegeben hat, bevor wir den Weg verloren haben. Damals, vor tausenden von Jahren, haben wir den Weg zurück zu uns gefunden. Mögen wir es dieses Mal auch schaffen.

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