Mittwoch, 25. Januar 2012

Israelisches Tagebuch - Gastbeitrag













Liebe Freunde,

ausnahmsweise stelle ich einen Gastbeitrag in meinen Blog, und zwar keinen gewöhnlichen. Es handelt sich um einige Bilder, die mein guter Freund und begnadeter Fotograf Kai von Kotze aus Nürnberg, der sich gerade auf Welttour befindet, während seines Israelbesuchs geschossen hat. Es sind Bilder aus Ramallah – und Kai war so freundlich es mir zu erlauben, sie als Ergänzung zu den letzten Beiträgen hinzuzufügen.

Ich habe zwei weitere Bilder, die ich selber beim Check Point Kalandia gemacht habe, auch hinzugefügt.

Alle Kommentare, Fragen oder Anregungen zu diesen Bildern können wie immer bei meinem Blog hinterlassen werden – Kai wird sie dort lesen können – oder direkt an seine Emailadresse kaivonkotze@gmail.com geschickt werden.

Die Bilder sprechen für sich – deswegen schreibe ich diesmal nichts dazu.

Liebste Grüße,

Euer Ofer

Sonntag, 15. Januar 2012

Israelisches Tagebuch 51

Beachtung

(Eine Fortsetzung des letzten Eintrags)

Es ist merkwürdig – es gibt keine Pause zwischen Jerusalem und Ramallah. Das ist wahrscheinlich der Musiker in mir der das Wort "Pause" dafür verwendet, gemeint ist – zwischen den beiden Städten gibt es keine Lücke, beinah hätte ich gesagt – keine klare Trennung, die gibt es aber, obwohl man über die Wortwahl "klar" ja streiten könnte. Jerusalem streckt sich ja bis zum Check Point, die Palästinenser die auf der "anderen" Seite leben behaupten aber von sich, sie seien ja auch noch Jerusalemer, es ist halt so – und das ist keinesfalls nahöstlich – der Mund spricht eine Sprache, der Pass eine andere, die Mauer eine dritte.

Im fließenden Übergang wird Jerusalem zu Ramallah, gleiche Steinhäuser, gleiche nasse, rotdunkle Erde, nur die Werbeschilder sind auf einmal auf Arabisch. Ich war eigentlich nie in dieser Stadt, und jetzt, da es ja "Spannungen" gibt, verbietet es die Armee. Ich musste ein Formular ausfüllen, auf dem es stand – "es ist mir durchaus bewusst dass ich mich in ein Kampfgebiet begebe, dass ich Tod und Verletzungen riskiere, und dass ich, falls es brennslich wird, von keinem irgendwelche Rettungsmaßnahmen erwarten dürfte". Nett.

Ich merkte keine Spannungen, nur dass die Preise die neben den bunten Handybildern auf den Werbetafeln wesentlich niedriger sind als bei uns. Ihr merkt, ich versuche jegliche Klischees auszuweichen. Überhaupt, ich dachte, ich beende diesen Beitrag mit der Geschichte von Kalandia. Aber es kamen zwei Reaktionen, die mich zum Weiterschreiben bewegt haben. K. aus New York meinte, es sei schwierig, mit Palästina unpolitisch umzugehen. Das stimmt – ich habe versucht, die Bilder des Lebens die sich mir durch die Busfenster zeigten mithilfe meines politischen Wissens zu entziffern. Komischerweise gelang es mir nicht. Ich wollte mich wie ein Tourist, ich wollte mich wie im Ausland fühlen, es ging aber nicht. Es war kein Ausland. Es war sogar weniger Ausland als Bayern einem Berliner Ausland ist.

Die zweite Reaktion kam von M. aus Berlin. "Gruselig," so hörte sich das an, meine Beschreibung von Kalandia, "schwarz weiß und ein Bisschen nach Momo im Nahen Osten." Diese Reaktion machte mich ebenfalls sehr nachdenklich. Schwarz weiß wie im Film? Das wäre eigentlich nicht schlecht, da schwarz weiße Filme ja geeignet sind, die Kanten, die Konturen einer Realität deutlicher zu zeigen. Und wenn man in einer Realität lebt, deren Konturen durch das alltägliche Stumpfwerden auf Dauer zu verschwimmen drohen, ist so was manchmal vom Vorteil. Aber so sehr ich mich danach sehne, Momo im Nahen Osten zu sein, gelingt es mir nicht. (In einer Zwischenbemerkung muss ich gestehen – in Deutschland gelang es mir besser. Es ist aber eine andere Geschichte.)

Üblicherweise wurde uns Arafats Ruhestätte gezeigt, es hat geregnet und wir blieben im Bus, ich drückte meine Nase gegen die kalte Scheibe und schaute den Mammutsbau an, wo der Gründervater des modernen Palästina liegt. Davor streckt sich ein großer Platz, wo alle Flaggen der Staaten, die dem Staat Palästina ihre Anerkennung zusicherten, sich nass an ihren Stangen klatschten. Das schwarz-rot-goldene deutsche Morgengrauen fehlte, wie die amerikanische oder israelische Flagge. Was für eine Überraschung.
Wir verließen Ramallah, und fuhren durch idyllische Dörfer bis wir die riesige Baufläche der neu gegründeten Stadt Rawabi erreichten. Die Zeit war knapp, also wurden wir schnell in einen kleinen Saal geeilt, wo der Projektleiter uns eine ausführliche Darstellung der Bauarbeiten ablieferte. Er redete und redete, und ich konnte den Gedanken nicht vermeiden - so sahen sie aus, die Väter des Zionismus, als sie vor über hundert Jahren über die Gründung Tel Avivs sprachen, und so wie sie, werden wahrscheinlich aus nach diesem Mann irgendwann ein Platz oder eine Grundschule genannt.

Aber es fehlte mir etwas. Er sprach über Bauelemente, über die Lieferanten des Projekts, über Umweltschutz und Schulbau, über Grünanlagen und Beschäftigungsaussichten, über die nah liegende Bir-Seet Universität, über Strassen und Laternen und Solaranlagen und und und. Aber er verlor kein Wort über Israel. Über mich. Über seinen Nachbar, der ihm gegenüber saß und höflich Notizen machte. Er erwähnte kurz, die Siedlung die auf dem Berg nebenan liegt erschwere den Bau der Hauptstrasse zwischen Ramallah und der neuen Stadt Rawabi. Ich schaute aus dem Saalfenster. Die Kräne tanzten ihren Tanz, hoben und senkten Steine und Metallstangen. Und in der klaren Luft, im entfernten Horizont, konnte man die Hochhäuser Tel Avivs sehen.

Ich nehme an, hier gilt der Satz – so wie Du mir, so ich Dir. Es ist aber ein beschießenes, wenn auch wohlverdientes Gefühl, unbeachtet zu sein. Nicht anerkannt, wenn auch als den Bösen in der Geschichte.

Danach, im luxuriösen Mövenpick Hotel in Ramallah, trafen wir den eigentlichen Gründer von Rawabi. In der Luft hing eine dünne Marlboro Wolke, es wurde Kaffee serviert, und er – Bashar al Masri – hielt eine kurze Rede, in der er Israel doch immer wieder erwähnte, als Inspiration, nicht mehr und nicht weniger – und als Quelle von vielen der Produkten, die für den Bau notwendig sind. (Ironie des Schicksals, muss man sagen. Die Palästinensischen Bauarbeiter bauten über vierzig Jahre unsere Siedlungen. Jetzt bauen wir die palästinensische Antwort darauf.) Aber als Nachbar fehlte auch hier jede Erwähnung. So wie Du mir, so ich Dir.

Später, als wir in einer Bar in der Ramallah City zusammen saßen um dem Tag einen würdigen Abschluss zu geben, fragte ich den Organisator wo die Toiletten seien. "Eine Etage tiefer, aber tue mir den Gefallen, lass Dich nicht als Israeli erkennen. Naja, so wie Du aussiehst wird es kein Problem sein, " er klopfte auf meine Schulter, und rückte meine H&M Kordjacke zurecht, "aber sei achtsam."

Ich kletterte die Treppen herunter, und ging in einen schmalen Gang, über dem das internationale Frau-Mann Zeichen hing. Vor der Tür wartete ein Bursche und grinste mich an, ich schätzte ihn nicht älter als 22 Jahre. "You are not from here", sagte er fragend, und Ich spürte meinen Herzschlag im Hals, immer schneller. Angst? "No no", sagte ich und versuchte ebenfalls zu grinsen. "I come from Germany." "Germany?", seine Augen leuchteten, "Wonderful! I love Germany! I think you are great! I am Mahmmud. What is your name?". Ich musste nicht mal eine Denkpause anlegen, den Drill kenne ich schon, aus Konzerten in braunen Dörfern in Mecklenburg-Vorpommern, oder aus der Jerusalemer Altstadt zu Zeiten des zweiten palästinensischen Aufstandes, der Intifada.

"Stefan", grinste ich, und versuchte, wie ein Stefan auszusehen. "nice to meet you."

Ich bin im Bus eingeschlafen und merkte gar nichts vom Rückweg nach Jerusalem. Alle waren müde, und so gingen wir still auseinander, ich stieg in mein Auto, schimpfte auf meine nicht funktionierenden Scheibenwischer, und fuhr los, Richtung Tel Aviv, nachhause, zu Ori. Ich versuchte unbeachtet ins Bett zu klettern, Gili schlief ruhig weiter, aber Ori, die meine sensiblen Ohren bekommen hat, öffnete kurz die Augen. "Aba", murmelte sie, "Papa."

Seid alle liebst gegrüßt,

Euer Ofer

Mittwoch, 11. Januar 2012

Israelisches Tagebuch 50

Wer Harry Potter gelesen hat, kennt diesen Moment am Bahnhof, in dem man das Gleis Nummer "viereinhalb" sucht. Um daran zu gelangen, in diese Spalte innerhalb der Realität, muss man seine Augen schließen und gegen eine Wand laufen, eine magische Pforte in eine Zauberwelt.

Der Weg zum Diplomatenviertel in Jerusalem ist ein ähnlicher. Es befindet sich in einer Grauen Zone, zwischen "unserem" und "ihrem" Jerusalem, das eine erkennt das andere nicht, kann es aber nicht ignorieren. Diese zwei Jerusalems umarmen sich unfreiwillig, nicht zu fest, um die Einwohner der anderen Seite nicht zu berühren, nicht zu locker, wahrscheinlich weil jede Hälfte davor Angst hat, die andere zu verlieren, oder vielleicht sogar sich selbst.

Man fährt von der Altstadt gen Norden, vorbei an dem berühmten "American Colony" Hotel, ehemaligem Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde in Jerusalem, vorbei an Scheich G´arach, Schauplatz zahlreicher Auseinandersetzungen zwischen Landhungrigen rechtsextremen Israelis und Dach-über-dem-Kopf hungrigen Palästinensern. Man fährt rechts Richtung Ölberg, Mt. Scoupus, Augusta Victoria, und da, zwischen dem westlichen, israelischen Jerusalem und dem arabischen, östlichen, an diesem "viereinhalb" Gleis, liegt das Diplomatenviertel. Schweden, Spanier, Belgier, eng beisammen sitzend, dicke Autos mit europäischen Kennzeichen und dicken Scheiben, nasse, hohe Steinmauern, und ein Souvenirladen mit Kreuzen aus Olivenholz.

Eine kurze Erklärung – Jerusalem wird nicht als die Hauptstadt Israels anerkannt. Alle Botschaften befinden sich in Tel Aviv – auch die deutsche. Die Diplomaten die in Jerusalem sitzen beschäftigen sich ausschließlich mit der palästinensischen Bevölkerung. Das heißt nicht, es sitzt dort zum Beispiel eine amerikanische Konsulat für Palästina – könnt Ihr Euch einen amerikanischen Präsidenten vorstellen, der einen solchen Satz über die Lippen bringt? – es ist einfach "Eine Vertretung in Ost-Jerusalem". Eine Vertretung die die Hauptstadt, in der sie sitzt, nicht anerkennt, oder doch, aber als eine Hauptstadt eines Staates, den es (noch) nicht gibt. Klar doch. Bonn und Berlin, in einem vereint.

An einem nassen Morgen traf ich mich dort mit einer Gruppe von Palästinensern und Israelis, organisiert (und finanziert) von einer deutschen Stiftung. Geführt wurde die Gruppe von einem jüdischen Israeli deutsch-amerikanischer Herkunft, selber eine Art "viereinhalb" Gleis, (eben an einem anderen Bahnhof), und dementsprechend auch charmant und kosmopolitisch. Der Grund dieses Treffens war eine gemeinsame Reise nach Ramallah, die größte palästinensische Stadt im Westjordanland (nach Jerusalem – aufgepasst!), Sitz der Autonomiebehörde und Zentrum der jungen palästinensischen Wirtschaft.

Es ist viel auf dieser Reise passiert. Zu viel, um alles beschreiben zu können. Wir haben eine neu gegründete Stadt namens Rawabi gesehen, die mit Geld aus Katar, Arbeitern aus dem Westjordanland, Küchentüren aus Bethlehem und Zement aus Israel gebaut wird. Wir haben das neuste Hotel Ramallahs gesehen, Mövenpick, fünf Sterne, groß und beeindruckend, mit einer ewigen, doch so nahöstlichen Marlboro Wolke auf jeder Etage.

Aber das alles wird auf ein anderes Mal warten müssen. Ich will Euch hier über einen Ort erzählen, der an keinem Gleis liegt, einen Ort, um dessen Zugang zu erreichen man auch gegen eine Wand laufen muss, aber die Wand ist hart und man knallt sich dagegen, immer wieder. Dieser Ort ist der Check-point-charlie des 21. Jahrhunderts, die liegen ja überall, diese Check-point-charlies, im internationalen Gewässer vor der Küste Italiens, oder an dem Rio Grande im Süden der USA. "Hier hört die westliche Welt auf" – kennt Ihr diesen Satz? Friedrichstrasse, U-Bahnhof Kochstrasse, Café Adler und John la Carre. Bei uns heißt der Ort Kalandia. Kalandia, mit einem "K" das tief im Hals sitzt, mit sechs Meter hohen Mauern, auf denen, wie ein Friseur aus den 80gern, Stacheldrahtlocken. Das ist das wichtigste Tor zwischen Ramallah und Jerusalem, hier passieren jeden Tag tausende Siedler, Palästinenser, UNO Mitarbeiter, Diplomaten, Militärs.

Ich blickte auf mein neues, schickes Handy, und schaute nach der Uhr. Es war kurz nach Mittag, und ich dachte – Ori schläft jetzt ein, ob ich das Kindermädchen anrufen sollte, lieber nicht, ich wollte keine Verbindung herstellen zwischen Kalandia und dem Schlafzimmer meiner Tochter.

Der Bus fuhr glatt durch das Tor, unkontrolliert, klar doch, wir fahren ja aus Israel raus. Besatzungstourismus. "Wollt Ihr es sehen?" fragte der geübte Grenzgänger der uns führt. Der Busfahrer navigierte auf den Parkplatz, eine viertel Stunde haben wir, dann müssen wir weiter. Ein Mädchen aus unserer Gruppe kennt sich hier aus, "folgt mir," sagte sie, wir gingen in eine Halle, Wellblech und erdrückender Geruch von Urin, und ein kleiner Junge der mit seinem Fahrrad durch die doch kühle Jerusalemer Luft in der Halle seine 8ter dreht. Hier warten jeden morgen die Palästinenser, die aus den "Gebieten" (wie in Israel das Westjordanland heißt) nach Jerusalem wollen. Einige von ihnen wollen arbeiten, andere müssen in ein israelisches Krankenhaus, vielleicht einen Verwandten besuchen. Die Siedler und Europäer dürfen im Auto sitzen bleiben, sie müssen erst gar nicht in diese Halle, sie werden durch das Tor durchgewunken.

Die Halle ist jetzt fast leer, man hört von draußen ein Radio aus einem mit offenen Fenstern stehenden Taxi und das summen der Fahrradreifen des kleinen Jungen, der immer noch seine 8ter um uns dreht, ich schaue ihn an, er kommt mir leicht behindert vor, mit einem stummen Lächeln. Ein alter Mann kommt auf uns zu. Krummer Gang, leicht unrasiert, eine Marlboro Zigarette brennt zitternd in seiner Hand. Er bleibt vor uns stehen. "Das ist Kalandia hier, Kalandia, versteht Ihr, " sagt er auf englisch mit unverkennbarem arabischen Akzent, legt eine kurze Pause, und fährt fort mit einer kurzen Rede, die schon gut geübt ist. Die Soldaten, was ist das für ein Leben, die schmalen Durchgänge, was ist das für ein Leben, von Ramallah nach Jerusalem sind es einige Kilometer, am morgen dauert es aber über zwei Stunden, "was ist das für ein Leben," sagt er, und bleibt plötzlich still. Sein Blick wandert von einem zum anderen, er schaut, wie gut die Rede bei uns ankam, er merkt dass etwas nicht stimmt. Wo wir herkämen, will er wissen. "Palästina, Israel, Deutschland" sagen wir durcheinander. Er ist offensichtlich enttäuscht, er hat sich vielleicht eine Spende erhofft. Er nimmt einen langen Zug von der zitternden Zigarette. Besatzungstourismus.

Da, wo die Halle in viele Gänge mündet, jeder so breit für einen einzigen Menschen, steht ein Schild, "Angenehme Aufenthalt", und darunter eine Uhr, die stillsteht. Mir wird schlecht und ich kehre in den Bus zurück. Wir fahren weiter, jetzt sehe ich die andere Seite von der Mauer, riesige Graffiti von berühmten Palästinensern die in israelischen Gefängnissen sitzen, einige Bilder erkenne ich wieder, sie sind auch bei uns berühmt, einige wurden sogar in dem "Schalit-Geschäft", dem Umtausch gegen den israelischen Soldaten, aus dem Haft entlassen. Wir kommen an einem Verkehrskreis. Ein kräftiger Mann, Mitte dreißig, läuft hin und zurück über den Kreis, dirigiert die Autos. Er trägt keine Uniform – wir sind noch zu nah an dem Check Point, er traut sich nicht – aber alle geben ihm, dem Ampelmann, den nötigen Respekt. Unser Busfahrer aber versucht etwas zu schnell in den Kreis zu fahren, und wird prompt mit einem bösen Blick begegnet. Ich lehne meinen Kopf zurück, und schaue auf die Uhr im Bus. Sie blinkt eine unbestimmte Zeit, und ich denke an Ori, und hoffe dass sie noch schläft wenn ich hier rauskomme.

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Liebe Grüße,

Euer Ofer