Freitag, 4. Juni 2010

Israelisches Tagebuch 30

1.5 Millionen Menschen sitzen im Gaza Streifen, unter israelischer Blockade. Die Arbeitslosigkeit beträgt dort 50 Prozent. Diese Menschen leben von der Hilfe der UNO, und von den wenigen humanitären Anlieferungen die Israel durch die Checkpoints zulässt. Die Grenze zu Ägypten ist auch gesperrt. Unter ihr laufen Tunnel, durch die man Lebensmittel, Arzneimittel, Zigaretten, und Waffen in den Streifen liefert.

In dem Gaza Streifen sitzt seit vier Jahren der von der Hamas entführte israelische Soldat Gilad Shalit. Seit neun Jahren schießen die palästinensischen Organisationen, die in Gaza tätig sind, wie Hamas, Al-Qaida und Islamischer Jihad Raketen auf Israel, manchmal mehrere an einem Tag. Als Reaktion darauf startete Israel vor einiger Zeit die Operation "Gegossenes Blei", in der über 1300 Palästinenser ums Leben kamen, die meisten davon Zivilisten.

Vor einigen Tagen wollte eine Gruppe von Friedensaktivisten die Sperre brechen. Sie erhielten Unterstützung von der türkischen Regierung, und sind mit sechs Schiffen aus der Türkei, über Zypern, Richtung Gaza gesegelt. In diesen Schiffen saßen Menschen aus aller Welt, darunter Bundestagabgeordnete der Partei "Die Linke", Araber, Europäer, Amerikaner, Israelis und Palästinenser. Auf dem größten Schiff, "Marmara", befand sich auch eine extremistische islamische Organisation aus der Türkei, mit dem Ziel, die israelische Marine zu provozieren.

Auf internationalem Gewässer stoppte die israelische Marina die sechs Schiffe, nachdem die israelische Regierung ihre Durchreise nach Gaza abgelehnt hat. Bei fünf Schiffen protestierten die Menschen passiv und friedlich gegen die Aktion der israelischen Marinasoldaten, ohne Gewalt anzuwenden. Auf dem sechsten Schiff, "Marmara", warteten auf die israelischen Marinasoldaten die Mitglieder dieser extremistischen Organisation. Die Soldaten, die einen friedlichen Protest erwartet haben, wurden gleich bei ihrer Ankunft auf dem Schiff mit Messern, Metallstangen, Ketten, Granaten, und anderen Mitteln angegriffen. Die Soldaten wurden dann verletzt über Bord geschmissen. Als einige der Aktivisten die Waffen der Soldaten von ihnen gerissen haben, eröffneten ihre Kameraden das Feuer. Neun Menschen sind ums Leben gekommen, viele wurden verletzt.

Die ganze Welt reagierte schockiert. Einige Länder brachen die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab. In der Türkei sprach man von "Unserem 9.11". In vielen Ländern wurden israelische Botschaften von Demonstrationen umzingelt. In der Weltpresse sprach man von dem Blutbad auf hohem See. Präsident Obama zeigte sich für eine internationale Untersuchung bereit. In ganz Israel gab es Spontane Demonstrationen, auf denen man die Armee unterstützen wollte. Die Regierung wurde heftig kritisiert für die Art und Weise wie diese Aktion durchgeführt wurde. Man fühlt sich in der Meinung bestätigt, die ganze Welt hasst uns. Der palästinensische Präsident Abbas stoppte die Friedensverhandlungen mit Israel auf unbestimmte Zeit. Die Güter, die sich auf den Schiffen befanden, wurden durch die israelischen Checkpoints in den Gaza Streifen geliefert. Es befanden sich dort Rollstühle, Medikamente, und Spielzeugkisten.

Die Israelische Regierung strahlte Bilder aus jener Nacht aus, in denen man den Angriff der Soldaten auf das Schiff sehen konnte, und die gewalttätige Reaktion der Aktivisten am Bord.

Vielleicht habt Ihr diese Bilder gesehen, von dem einen Soldaten der über Bord geschmissen wurde, nachdem er von einem der Friedensaktivisten durch ein Messer im Bauch schwer verletzt wurde.

Dieser Soldat ist ein Freund von mir, und liegt im Krankenhaus. Er wird es überleben. Derjenige, der ihn angegriffen hat, ist tot.

Im Gaza Streifen sitzen immer noch 1.5 Millionen Menschen unter israelischer Blockade.

Viele in Israel beschimpfen jetzt jeden, der sich "Friedensaktivist" nennt. Man nennt uns "Verrätern", "Terroristen". Die Bewegung, die innerhalb der israelischen Gesellschaft stattgefunden hat Richtung Gesprächbereitschaft, ist verschwunden.

Die Welt ist voller Hass gegen Israel. Israel ist voller Hass gegen die Welt. Die Friedensverhandlungen wurden gestoppt. Mein Freund und viele seiner Kameraden liegen im Krankenhaus. Neun Menschen sind tot. Viele sind verletzt.

Eine Erfolgsbilanz einer Friedensmission.

Was soll ich Euch schreiben? Seit Tagen stelle ich mir diese Frage. Soll ich, wie viele der Israelis, Euch die Frage stellen – was würde Euer Land tun? Gibt es in unserer Welt, in der heutigen Sensationspresse einen Platz für eine differenzierte Meinung? Für einen Satz den man nicht auf 5 Sekunden bei CNN beschränken muss? Darf man schreiben, meine Regierung ist dumm, feige und verbrecherisch, diese "Friedensaktivisten" aber waren gar keine echten? Dass man Frieden nicht mit Gewalt erreichen kann? Hat man vergessen, in unserem Konflikt und in der ganzen Welt, wer Gewalt sät, der wird auch Gewalt ernten? Kann man in einem Satz sagen, die Blockade von 1.5 Millionen Menschen ist und bleibt verbrecherisch, geneuso aber wie der Missbrauch einer Friedensmission durch eine terroristische Vereinigung?

Darf man sich über die Blindheit seines eigenen Volks beklagen, und über die Scheinheiligkeit vieler in der ganzen Welt?

Darf man die Frage stellen, was die Welt davon erwartet, wenn man Israel jetzt gegen die Wand drückt? Ob man davon den erhofften Frieden, für den meine Freunde und ich und Millionen in der ganzen Welt arbeiten, für den Millionen in der ganzen Welt beten, erreichen wird? Glauben die Menschen, die 1.5 Millionen Menschen in Gaza Streifen als Geisel nehmen, glauben die Menschen, die mit Gewalt auf unsere Soldaten mit Messern losrannten, sie bringen damit den Frieden näher?

Hört jemand überhaupt noch zu?

Weine Gaza, weine Israel, weine Welt.

Euer Ofer.

2 Kommentare:

  1. ja mein lieber Ofer, was soll man sagen, von hier aus dem weit entfernten Deutschland ist vieles schwer nachzuvollziehen. Man verfolgt die Presse und sieht wenig Bilder. Ich gebe zu, dass ich immer häufiger einfach nur noch kopfschüttelnd "daneben stehe", mir natürlich einen erfolgreicheren Friedensprozess für Dein Land wünsche. Du weißt aus eigener Erfahrung, wie weit weg das alles von hier aus scheint und wie leicht es ist, euren ewigen, leidvollen Konflikt in Deutschland sitzend auszublenden und zur Tagesordnung überzugehen, da man hilflos und machtlos ist. Du mein lieber Ofer steckst leider mitten drin und kannst Dich dem nicht entziehen. Ich kann nur hoffen, es gibt irgendwann wieder mutige Menschen in eurer Regierung - wenn nicht heute
    dann morgen - die dem ewigen Auge um Auge, Zahn um Zahn ein Ende machen und die stark genug sind, einen neuen Friedensprozess in Gang zu setzen.

    liebe Grüsse an euch beide...

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  2. hallo, Ofer, kennst Du mich noch (Oboe, RSB)? Ich hab jetzt zum ersten mal deine Post gelesen, weil ich nicht so ein "elektrischer Mensch" bin...aber ich wollte dir auch mal antworten, damit du eine Reaktion bekommst! Ich hebe das Gefühl, du hast einfach Recht, mit deiner Einschätzung der gegenwärtigen Situation. Ich find es sehr gut, daß du was schreibst, weil die offiziellen Nachrichten, die wir hier aus der Presse bekommen, mir sehr einseitig und kurz erscheinen (wir können natürlich eure Situation von hier aus nicht wirklich nachempfinden, was keine Entschuldigung ist - aber es gibt ja ein Gemeinsames in unserer gemeinsamen Situation, und da ist immer wieder Austausch nötig...)
    Übrigens waren meine Eltern gerade 2 Wochen mit ihrem Postdamer Chor in Israel und waren einfach begeistert von eurem schönen Land. Ihr Chorleiter heist Ud Joffe, kennst du ihn? Und dann hätte ich mal eine Bitte: wenn du die Gabi Bukowski aus Tel Aviv siehst, grüßt du sie mal von mir? Ich fand es doch schade, daß die Zeit, die sie in Deutschland war, so schnell verging und ich sie nur einmal traf...
    Herzlichen Gruß von Thomas Herzog

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