Mittwoch, 28. Oktober 2009

Israelisches Tagebuch 9

Tel Avivsche Idylle, ein Kind spaziert nackt auf dem Sand, ein Hund schreckt ein Paar Tauben ab, ich gehe aus dem Wasser und lasse mich von der sanften Oktobersonne trocknen, ein Buch in der Hand, alles ruhig.

In dem monotonen Rauschen des Meeres entdecken meine Ohren ein anderes Rauschen, oder viel mehr Brummen. Meine Augen suchen und suchen, und da sind sie. Tel Avivsche Idylle, ein Kind spaziert auf dem Strand und ein Hund schreckt ein Paar Tauben ab, und in dem klaren Himmel fliegen zwei Metallvögel, F15 Kampfjets, vielleicht mit einem sonnigen Gruß an unsere Nachbarn im Gazastreifen.

Übrigens, falls Ihr Euch fragt wie ich so sicher bin dass es zwei F15 und nicht etwa F16 oder Miragé waren, kann ich Euch erzählen dass jedes Kind in Israel, und ich natürlich auch, diese Flieger erkennen kann. An dem Schwanz, übrigens. Als ich neun Jahre alt war nahm mich mein Vater mit zu der Luftwaffeparade anlässlich des israelischen Unabhängigkeitstags. Wir sind zu dem Nationalstadium in Ramat Gan gefahren, einem Vorort von Tel Aviv. In diesem Stadium werden normalerweise Fußballspiele gehalten, auch von der israelischen Nationalmannschaft (Wir haben hier einmal Frankreich geschlagen! Echt jetzt!). Drei Stunden lang brummten über unsere Köpfe die feinsten Produkte die man mit amerikanischem Geld kaufen kann, und zum Schluss tanzten zwei "Apachee" Kampfhubschrauber einen Liebestanz zur allgemeinen Freude der Zuschauer.

Ich finde es wunderbar dass ich fast jeden Tag dazu komme, Deutsch zu sprechen. Mal ist es mit der Sekretärin meiner Fakultät, Mal auf irgendeiner Veranstaltung des Goethe Instituts, es passiert mir auch öfter, dass ich deutschen Touristen die sich hier rumirren helfe. Na ja, vorausgesetzt ich kenne die Tel Aviver Strasse, die sie suchen. Ich mahle meine Heimatstadt zwar mit schwierigen Farben, in meinem Herzen bin ich aber ein Jerusalemer, das war ich sogar irgendwie auch in Berlin und Nürnberg.

Ich höre, bei Euch ist grad etwas kälter. Wenn ich jetzt, mit einem T-Shirt auf dem Balkon sitze und dem leisen summen der Klimaanlagen zuhöre, kommt mir die Erinnerung an die deutsche Kälte wie aus einer anderen Welt vor. Neulich, als ich mein Zeug aus den Kisten packte, habe ich einige Kleiderstücke angeschaut und mir dabei gedacht, ich kann sie gleich in den Koffer stecken den ich mit nach Deutschland nehme, da sie hier in Israel ehr ein Wert haben ausgestellt in einem Museum.

Ich schicke Euch allen einen ganz lieben Gruß, Ihr seid hier vermisst,

Ofer

Dienstag, 20. Oktober 2009

Israelisches Tagebuch 8

Es ist heiß in Israel, sehr heiß. In Tel Aviv sind es in dieser Woche über 30 Grad, im Süden sogar 40. Ich springe graziös wie ein Frosch von einer Klimaanlage zur nächsten, von meiner Wohnung in den Bus zum zentralen Busbahnhof in Tel Aviv, dann mit der 405 (Der Bus mit der Ehre, der erste der durch eine Selbstmordattentat zerstört wurde) nach Jerusalem, also in das 19te Jahrhundert. In Jerusalem, in einer Wolke von Busausgasen und den Gerüchen von den Falafelläden, mit Schreien von Taxifahrern und Propheten (die beliebteste Berufsgruppe in dieser Stadt), suche ich nach dem Bus zum Mount Scoupus. Dieser Bus fährt durch Stadtviertel die allein von Ultraorthodoxen besiedelt sind. Wart Ihr mal im jüdischen Museum in Berlin? Schaut mal unter "Polend des 19ten Jahrhunderts". So sieht es dort aus. Familien mit 12 Kindern, Männer mit langen Bärten, Läden mit Neonschildern auf Jiddisch wie "Jidd säin ist gliklich säin, käuft brotele bei Yitchak Stäin" (unübersetzbar).

Der Bus steigt mühsam den Berg hoch, und überquert die gefühlte, aber nicht gesehene Grenze zwischen dem neuen, jüdisch-israelischen Jerusalem und dem alten, orientalischen-arabischen Jerusalem. Meine Uni liegt wie gesagt auf dem Mount Scoupus. Dieser Berg war eine israelische Insel in einem arabischen Meer bevor Israel im Sechs-Tage Krieg Ostjerusalem erobert (oh, Verzeihung, befreit) hat. Vor den Toren der Uni ist der "Jerusalem War Cemetery", der britische Kriegsfriedhof. Hier liegen Soldaten die fern der Heimat im ersten Weltkrieg gegen die Türken gekämpft haben und ihr Leben auf die schon mit genügend Blut getränkte Erde Jerusalems gelassen haben. Hier hat auch mein Vater gekämpft – im Augusta-Victoria Krankenhaus. Ja ja, meine lieben deutschen Freunde, auch Eure Herrscher haben Ihre Liebe zur heiligen Stadt gezeigt, unter anderem mit diesem Krankenhaus, nach der Preußenkaiserin genannt.

Als ich 18 war, kurz bevor ich zur Armee ging, brachte mich mein Vater hierher. Der Anblick ist atemberaubend – von dem Park vor dem Krankenhaus sieht man die gesamte Altstadt, mit der Grabeskirche und dem goldenen Al Aksa Moschee. Gen Osten liegt die jüdäische Wüste, zärtliche runde Stein – und Sandhügel, und an einem guten Tag kann man das jordanische Königsreich sehen, Jenseits des toten Meeres. Romantisch, oder?

"Schau her, Ofer," sagte mein Papa. "In Juni 67´ stand hier ein Lager der jordanischen Legion. Wir haben die ganze Zeit auf dem Mount Scoupus gewartet, und zugesehen wie die jordanische Artillerie Westjerusalem bombardiert. Ich wusste dass Deine Mutter dort sitzt, und ich versuchte zu schauen, ob die Bomben dort auch antreffen, wo wir gewohnt haben. Wir warteten und warteten auf den Befehl, im Radio haben wir gehört dass unsere Armee die Sinai Halbinsel erobert hat, und wir fragten uns – wann kommt Jerusalem? Wann bekommen wir den Befehl?"

Mein Papa ist kein Kriegsheld. Er kämpfte nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen, er hat sich auf den Krieg nicht gefreut. Er wusste aber, dass er die letzte Linie ist zwischen den Arabischen Armeen und meiner Mutter, die damals noch nicht wusste dass sie im ersten Monat schwanger war mit meiner Schwester. Dann kam aber der Befehl. Sie sollten von dem Berg, über das Krankenhausgelände in den Rücken der jordanischen Legion vor dem Tempelberg fallen.

"Schau her, wir sind mit dem Jeep auf das Gelände gefahren, und sahen einen jordanischen Soldaten. Er hob seine Arme in die Luft, und wir senkten unsere Waffen. In diesem Moment sprang er zur Seite, und hinter ihm stand ein anderer Soldat, mit seiner Waffe auf uns gerichtet." Mein Papa schaute mich mit einem eindringlichen Blick an. "Ich war schneller, Ofer, und habe hier zum ersten Mal einen Mann getötet. Vergiss es nie."

Und jetzt studiere ich hier, es ist alles friedlich, das Krankenhaus ist immer noch umgeben von schönen Pinienbäumen. Schöne, junge israelische und arabische Studentinnen sitzen in den Schatten dieser Bäume und lernen mit mir über Marx und über deutsche Poesie nach 1945. Das ist Jerusalem, meine Freunde, so sieht mein Leben hier jetzt aus.

Ich drück Euch,

Ofer

Freitag, 16. Oktober 2009

Israelisches Tagebuch 7

Was für einen Tag. Am Mittwoch bin ich in das Asia-Haus gegangen, Sitz des Goethe-Instituts in Israel. Jeder, der irgendwie mit Deutschland verbunden ist war da. Der Deutsche Botschafter, Herr Dr. Kindermann, die Leiter aller deutschen Stiftungen die in Israel ansässig sind, die Mitarbeiter von "Aktion Sühnezeichen" und von der Stiftung "Verantwortung, Erinnerung, Zukunft", Journalisten der "Bild", der "Zeit" und vom ARD-Jerusalemstudio, und viele Israelis wie ich die Sehnsucht nach Deutschland haben. Für einen Tag konnte man im Asia-Haus nur reinstes Deutsch hören, man redete leise und höflich, und das Café bot uns Kaffee und Kuchen in bester Oma Tradition.

Die Diskussionen waren spannend, wie zum Beispiel die Analyse der letzten Bundestagswahl und deren Auswirkung auf Israel und Iran, oder die Auswertung von Jugendaustauschprojekten zwischen beiden Ländern. Aber wie immer bei solchen Angelegenheiten war das spannendste die Diskussionen außerhalb der Konferenzräume. Und so habe ich Kontakte geknüpft mit den Leitern des Goethe-Instituts und der IDG (Israelisch-Deutsche Gesellschaft). Nach der letzten Diskussion waren wir alle in die Residenz des deutschen Botschafters eingeladen zum festlichen Empfang, anlässig des Tages der Deutschen Einheit. Alle waren da – Botschafter, Militärattachés, fein gekleidete Damen und Herren die die von deutschen Steuergeldern finanzierten Häppchen und Bier genossen. Ich beschränkte mich auf das Bier – frisch aus dem Hahn, wie in Deutschland. Himmlich.

Als ich keine Lust mehr hatte an diesem Theaterspiel teilzunehmen, zog ich mich mit einem Glas Bier in eine distanzierte Ecke des Rasens. Es stand dort ein Mann den ich um Feuer bat. Er war in meinem Alter, hatte dunkele Haut und markanten Gesichtszügen die seiner Herkunft preisgaben – Ägypten. Wir haben uns in ein Gespräch verwickelt, das für mich das spannendste am ganzen Tag war. Wie oft kriegt man die Gelegenheit dazu, mit einem offiziellen Vertreter eines arabischen Landes bei Zigarette und Bier zu quatschen?

Später hat mich der nette Mann (es ist wohl für ihn besser, ich lasse seinen Namen unerwähnt bleiben) nach Hause gebracht, da wir Nachbarn sind. Es war ein Erlebnis, durch Tel Aviv mit diplomatischem Kennzeichen zu rasen. Und jetzt habe ich einen ägyptischen Freund, und eine Menge Kontakte zu den deutschen Vertretern in diesem Land. Also war das ein erfolgreicher Tag!

Zum Schluss will ich eins sagen – unsere Wohnung ist fast fertig gerichtet, und hat viel, viel Platz. Das hat eins zu bedeuten – Ihr seid alle hierher eingeladen!

Grüße aus dem heiligen Land,

Euer Ofer

Dienstag, 13. Oktober 2009

Israelisches Tagebuch 6

Israelisches Tagebuch 6

"Misrad Hapnim" – Innenministerium – war mein Ziel heute Morgen. Ich musste meinen Ausweis auf den neusten Stand bringen, spricht dem Ministerium mitzuteilen dass ich verheiratet bin, und in Tel Aviv wohne.

Das Ministerium haust in einem neuen Hochhaus im Osten Tel Avivs. Pünktlich um 8 stand ich vor dem ersten Metaldetektor, zehn Minuten später vor dem zweiten. In einer Ecke des Wartesaals stand eine Gruppe Schwarzafrikaner – Israel, wenn man zu Fuß von Afrika in die westliche Welt läuft, ist das erste Ziel. Ein Ministeriummann mit einer kleinen "Kippa" (Keppi) suchte jemand der übersetzen kann, wurde dann fündig bei einem kleinen runden älteren Mann aus dem Sudan. Der Sudanäser trug ein Hemd von einem israelischen Sicherheitsdienst, und lächelte die ganze Zeit mit strahlend weißen Zähnen. Den Mitarbeiter des Ministerium hatte es wenig beeindruckt, und er befahl die Gruppe ihre Ausweise von der UNRA (Uno-Flüchtlingsorganisation) vorzubereiten.

Die junge Dame die mich am Schalter empfing sagte, im Computer steht schon dass ich verheiratet bin, "das hat uns das Hauptrabbineramt in Jerusalem mitgeteilt." Tja. Gott ist nun mal allgegenwärtig in Israel. Ich habe ihr meine neue Adresse vorgelesen, und sie schickte mich zum anderen Schalter um den neuen Ausweis zu bekommen. Vor diesem Schalter stand ein junger, offensichtlich schwuler Mann der seinen frischgedrückten Ausweis anschaute. (Ich muss hier eine kurze Erklärung geben – in Israel stand auf dem Ausweis bis vor kurzem "Nationalität – Jude", "Araber", oder "Ungewiss". Es half meinem fortgeschrittenen Staat dabei, einige von seinen Staatsbürger fortschrittlich zu diskriminieren). Der junge Mann fragte die Dame am Schalter – "Es steht hier nicht mehr "Jude" in meinem Ausweis. Was hat es zu bedeuten?" "Nichts," sagte die Dame. "Wir wissen schon dass Du einer bist". Allein die Übersetzung dieses Satzes auf Deutsch ist krass.

Ansonsten geht es mir gut, ich hatte gestern einen ersten unspektakulären Dienst, die Kollegen sind nett und mein Gehalt ist auf dem Boden des toten Meers, aber das macht nichts. Ich mach´s für die Kunst!

Morgen gibt es ein Treffen im Goethe Institut, "Deutsch-Israelisches Networking Forum 2009", also sehen und gesehen werden. Ich werde es einfach genießen, wieder ein wenig Deutsch zu hören.

Gute Nacht aus dem heiligen Land,

Ofer

Samstag, 10. Oktober 2009

Israelisches Tagebuch5

Israelisches Tagebuch – Zwischenmeldung

Ich beschreibe Euch meinen Alltag, die Momente die Israel für mich ausmachen, die ersten Schritte die ich gehe um meinem Leben hier Gestalt und Form zu geben. Heute Morgen kam eine Email aus Deutschland, in der stand – es klingt wie Urlaub, es klingt so verlockend und schön, als ob das traurige, das schwere, komplett entfällt.

Man kann sich an Tagebücher erinnern die ein Kind aus dem Sommerlager der Pfadfinder schreibt. "Heute haben wir das gemacht, morgen machen wir dies, wir haben so und so viel Stunden Zelte gebaut, und sind so und so viel Stunden durch den Wald marschiert bis wir an einen See kamen." Idylle, die für die Ohren der besorgten Eltern gedacht ist. Da fehlen die langen Stunden in der Nacht, in denen die Gedanken und die Sehnsucht nach Daheim zu stark werden, die Momente wo die Grenze zwischen dem jetzt und dem bekannten so unpassierbar erscheint, dass man die eine Welt als Märchenwelt bezeichnet, die andere dann in eine Box tut um sie für sich zu behalten, zu beschützen.

Ich kann es mir hier nicht leisten, nach hinten zu schauen, bei dem Anblick von der Disengoffstrasse in Tel Aviv an Unter den Linden zu denken, beim Spaziergang durch den Massarikplatz mich an meinen geliebten Helmholtzplatz zu erinnern. Ich bin ehr der Helmholtzplatz, ich bin Prenzlauerberg, ich bin Döner und feines fränkisches Bier und gutes deutsches Brot, ich bin nicht Falafel und Strand und Menschen die nicht fahren können, ich bin nicht Israel. Aber ich muss mit beiden Füßen auf dem Boden stehen, auf diesem Boden hier, mit dem Blick nach vorne – ansonsten wird die erste Welle der Sehnsucht, der Traurigkeit mich wegspülen. Und das kann ich mir nicht leisten.

Wie bekennt man Farbe, wie zeigt man seine Treue für einen Ort, für einen Menschen, für ein Land? Ich kann mich an einen Moment erinnern. Es war 2006, im Frühjahr. Ich habe gerade meine Stelle beim RSB in Berlin verloren, meine damalige Freundin hat mich aus dem Fenster geschmissen, und ich habe meine Diplomprüfung erfolgreich bestanden. Nach einer kurzen Aufenthalt in Israel bin ich zurück nach Berlin geflogen, und wie der Flieger langsam Richtung Flughafen Schönefeld sank und der Berliner Skyline sich aus dem Fenster zeigte, dachte ich mir – ich habe hier keine Frau die mich erwartet, kein Studium, keine Arbeit, und doch ist es mir klar – hier will ich hin, hier bin ich zuhause. Das war der Moment in dem ich Berlin sagte – Schau, alle offiziellen Gründe die ich hatte sind entfallen und doch komme ich zurück zu Dir. Das ist Treue, das ist Liebe, das war der Moment in dem Berlin endgültig zu meiner Heimat wurde. Ich warte noch an einen solchen Moment mit Israel, es dauert aber Jahre, vielleicht wird er auch nie kommen, und es bleibt so einfach wie auch grausam – ich bin im Exil in meinem Vaterland, meine Heimat ist aber Berlin.

Ich drücke Euch,

Euer Ofer

Israelisches Tagebuch4

Ich gebe zu, Eure Reaktionen auf meine Emails bringen mich dazu fast jeden Tag diesen Moment zu suchen, in dem ich der deutschen Hälfte meiner Seele die Oberhand gebe, sodass sie mit deutschen Augen meine Alt-neue Heimat sieht und beschreibt. Und ich danke Euch dafür.

Es ist Freitagabend – hier in Israel heißt das Schabbat-Abend, da der jüdische Tag schon am Vorabend beginnt, wenn drei Sterne im Himmel zu sehen sind. Wir sind aus dem feuchten warmen Tel Aviv gen Norden geflüchtet, und verbringen das Wochenende bei Gilis Familie im Galiläa.

Heute morgen waren wir am Strand – Sonne, Sand, junge Damen mit wenig Stoff auf ihrer Haut und junge Männer, braun gebrannt und muskulös, laute Musik und schlechtes israelisches Bier. Meine Freunde die auch dabei waren haben mich ausgelacht, sie sagten mir, sie wussten nicht dass man so weiß werden kann. Langsam kriege ich aber meine alte israelische Farbe, ich bin ja viel auf unserem Balkon.

Jetzt aber sitze ich draußen in "Alone Aba", wo Gilis Eltern ein Haus gebaut haben, von der Ferne hört man Schüsse aus den nahe liegenden arabischen Dörfern (kein Krieg – so zeigen sie ihre Freude, es wurde anscheinend eine Hochzeit gefeiert), wenn man einen kleinen Spaziergang machen würde wären die Lichter von Nazaret das einzige, was man sehen würde. Für Euch sind es Namen aus der Bibel, für mich sind es jetzt Namen die man im Radio hört beim Staubericht – "Zwischen Jerusalem und Betlehem ist Stau, bitte benutzen sie die Strasse über Jericho". Lustig, oder?

Vorher kam ein Anruf von der Oper, sie brauchen mich schon nächste Woche, gespielt wird die Ouverture zu der Oper "Der Freischütz", Mozarts Violinkonzert in D Dur und noch irgendwas. Ich kann es mir nur schwer vorstellen, auf Hebräisch zu proben, der Dienst heißt hier "Peula" und es gibt keinen TVK (für die Nichtmusiker unter Euch, TVK ist der Tarifvertrag der Deutschen Kulturorchester) und keine DOV (Deutsche Orchestervereinigung, also unsere Gewerkschaft).

Als ich heute meine Stereoanlage aufgebaut habe, entdeckte ich eine CD im CD-Player. Ich habe auf "Play" gedrückt, und unsere schöne, ruhige Tel Aviver Wohnung war plötzlich voll mit der Stimme Marlene Dietrichs, mit ihrem Lied "Ich hab noch einen Koffer in Berlin". Oh je.

Gute Nacht aus Jesuss Nachbarschaft,

Euer Ofer

Israelisches Tagebuch3

Am Sonntag hatte ich endlich meine lang ersehnte Ruhe. Ich habe mich auch irgendwie von der Klimaanlage erkältet, also habe ich nichts anderes gemacht als fernsehen und rumgammeln. Montag war es allerdings mit der Ruhe vorbei.

In der Früh habe ich den Bus zum Hauptbusbahnhof Jerusalems genommen, um nach Tel Aviv zu fahren. Meine Freunde, Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen welche Welten zwischen meinen beiden Heimaten – Berlin und Jerusalem – liegen. Es ist wie gesagt Laubhüttenfest, eins der drei Feste in denen man nach Jerusalem pilgern soll. Dieser Brauch entstand als der Tempel noch da war, mitten im Königreich Davids. Der Bus, den ich genommen habe, war das einzige was aus dem 21 Jahrhundert stammte. Ansonsten kam es mir so vor, als ob sich Afganistan, Polen des 19 Jahrhunderts und Afrika sich hier vermischt haben. Juden mit ihrer vollen Tracht aus langen Mänteln und Fellmützen, Araberinnen die zum Markt gingen mit gigantischen Säcken auf dem Kopf, und andere Menschen die aus einem surealistischen Märchen stammten strömen durch die Strassen dieser Stadt.

In Tel Aviv war die Moderne wieder da. Gili holte mich ab von Bahnhof, und wir sind kurz zum Falafelstand gegangen und dann zum Rechtsanwalt um den Mietvertrag zu unterschreiben. Die Wohnung – wie das ganze Haus – wurde von einer Deutsch-Jüdischen Familie gebaut. Und so fand ich mich in einem Zimmer mit fünf Greisen, die sich gegenseitig angeeckt haben – und zwar auf feinstem 30ger Deutsch. Als sie entdeckt haben dass ich auch Deutsch kann, war die Freude groß. Die Miete blieb aber sehr hoch. Zu diesem Preis könnte man in Berlin den Reichstag mieten und jeden Morgen Kaffe und Kuchen von Westerwelle serviert bekommen. Na gut.

Unsere Wohnung ist ein Traum – groß, mit einem Riesenbalkon, mit einem Arbeitzimmer für mich, und mit drei großen Bäumen vor allen Fenstern. Es gibt also Platz für Euch alle!

Nachdem wir die Wohnung bewundert haben, ging die Arbeit los – Zeug Schleppen. Das meiste war bei meiner Tante in einem kleinen Dorf westlich von Jerusalem, und so sind Gili und ich mehrmals hin – und zurück gefahren, voll beladen mit Matratzen, Sofas, Schränken und ähnliches. Meine Tante und mein Onkel sind ehmalige hochrangige Offiziere der Israelischen Armee die sich zur Ruhe gesetzt haben und Zimmer für Touristen vermieten. Sie haben ein kleines Haus in den Bergen Jerusalems, mitten im Jerusalemer Wald, und führen dort eine ruhige beschauliche Existenz. Wer meinen Onkel besucht muss damit rechnen, bei Kaffe und Kuchen lange Geschichten zu hören – er ist als Kind aus Thessaloniki geflohen, und hat im israelischen Unabhängigkeitskrieg mitgekämpft. Er verkörpert Israel – so wie ich Israel kenne und liebe, ohne Zynismus, ohne Überheblichkeit. Obwohl er nicht mehr der jüngste ist, hat er uns geholfen das ganze Zeug auf seinen alten Citroen zu bergen, während meine Tante, 1.50 Meter groß und voller Energie, uns mit hilfsvollen Ratschlägen bombardiert hat. Oft beendet sie ihre Sätze mit einem "Nicht wahr?" auf Deutsch mit starken Wiener Dialekt, so wie sie es von ihren Eltern kannte.

Zurück in Tel Aviv bin ich in eine politische Diskussion geraten mit zwei von Gilis Freunden. Ich habe ausnahmeweise nichts gesagt – das was ich doch gesagt habe, dass man seine Denkweise in diesem Land ändern sollte, konterten sie sofort mit "Du bist wie die Europäer, die keine Ahnung haben". Ich glaube, ich werde mich erstmal aus solchen Diskussionen fernhalten.
Jetzt ist Gili zurück von Einkaufen, ich habe ihr beim Schleppen geholfen, und während ich die Treppen hoch und runter ging hörte ich aus der Wohnung im Erdgeschoss zwei Geigen, die mit einem Klavier ein Bach Duo übten. Hallo Deutschland, hallo Israel, und bis zum nächsten Mal –

Liebste Grüße,

Euer Ofer

Israelisches Tagebuch2

Der Abend gestern war ganz schön anstrengend, meine Familie war irgendwie gelähmt und hat sich nicht getraut, mich über Berlin oder den Umzug zu fragen. Und so haben wir das Spiel von Hapoel Tel Aviv gegen den HSV aus Hamburg im Uefa-Cup analysiert. Spannend. Das Spiel ging übrigens 4-2 für Hamburg aus.

Heute wollten meine Geschwister mich an die atemberaubende israelische Natur erinnern, also sind wir mit drei Autos in die Jerusalemer Berge gefahren. Wir haben eine kleine Wasserquelle gefunden, und haben uns daneben unter eine große israelische Eiche gesetzt. Um uns war der Jerusalemer Wald zu sehen, und ich habe mich daran erinnert dass ich erst heute Morgen meiner Mutter die Bilder aus dem Kimsee vom letzten Februar gezeigt habe. Der Jerusalemer Wald ist das Resultat des israelischen Wahnsinns aus den 20gern und 30gern, als die Juden aus Europa Pinien gepflanzt haben um den Wiener Wald, den Schwarzwald oder sogar den Grünewald mit nach Palästina zu importieren. Das Grün der Pflanzen hier ist aber ein anderes als in Deutschland, es ist zäh, als ob es der Hitze (es sind heute knappe 30 Grad) und dem Staub trotzen will, was ihm nur mühsam gelingt. Der Duft ist aber wirklich anderes als in Berlin – überall wachsen hier Rosmarinpflanzen, und ich müsste heute zum x-Mal die Olivenüberreste von den Sohlen meiner Birkenstockschuhe abkratzen.

Es ist hier Laubhüttenfest jetzt, und überall auf den Strassen und in den Gärten Jerusalems sind kleine Strohhütte zu sehen, geschmückt mit den Biblischen Pflanzen – Granate, Palme, und einige Dinger deren Namen ich auf Deutsch nicht kann. Es ist eigentlich schön, und weil es eine heilige Woche ist hat die Uni zu und ich bin gezwungen nichts zu machen. Naja, vielleicht ein wenig üben, aber da war´s. Gili kümmert sich um die neue Wohnung, deswegen müssen wir morgen nach Tel Aviv. Ich freue mich schon auf die Klimaanlage in unserer Wohnung – in jedem Zimmer gibt es eine. Gottseidank.

Ich drücke Euch alle ganz fest,

Euer Ofer

Israelisches Tagebuch1

Jerusalem, Freitag den 2.10.09

Unglaublich – ich bin hier. Florian hat mich gestern früh durch das aufwachende Berlin zum Flieger nach Schönefeld gebracht, und als er gefahren ist fing es an zu regnen. Meine dramatische Art veranlasste mich dazu den Regen als die Tränen Berlins zu sehen, eine Art Abschiedsnahme. Ich stand vor dem Terminal für eine letzte Zigarette, nachdem ich meine (fünf!) Koffer abgegeben habe, und habe einen neuen AB-Spruch aufgenommen. "Hallo, hier ist der Anrufbeantworter von Ofer Waldman, ab Sofort bin ich in Israel…." Unglaublich. Und jetzt bin ich hier.

Vorher war ich mit meinen Neffen und Nichten Fußball spielen, im Süden Jerusalems. Die Luft ist hier wirklich süß, das Licht ist golden und es liegt eine himmlische Ruhe auf der Stadt. Es ist Freitagabend, die "Schabbat" kommt, und Jerusalem trennt sich für das Wochenende von der realen Welt. Man kann sich hier Deutschland nur schwer vorstellen, es duftet nach Feigen und in der Stille ertönen Glocken aus dem nahe liegenden Betlehem und aus der Jerusalemer Altstadt. Wo ist Berlin, wo ist Prenzlauer Berg, erst Vorgestern bin ich mit dem Motorrad zu Miriam nach Westberlin gefahren, durch Unter den Linden, durch den Tiergarten, mit nicht mehr aktuellen "Deutschland kann mehr" Plakaten der SPD, mit Bäumen deren Namen ich in 10 Jahren noch nicht gelernt habe.

Die Familie versammelt sich bei meinen Eltern, Gili hilft meiner Mutter die Schnitzeln für das Schabbat-Essen vorzubereiten, und ich habe eine Dusche genommen – es kommt hier kaum Wasser aus dem Hahn, kann man ja verstehen bei der Wasserknappheit, und bei mir werden Kindheitserinnerungen wach von Restseife die man mit der schwachen Wasserstrahl nie wegkriegt.

Noch fühlt es sich an wie in all den Besuchen, die ich hier erlebt habe. Und doch ist in meiner Tasche keine Flugkarte, nachhause, nach Deutschland. Ob man zwei "Zuhause" haben kann?

Die Besitzer der Wohnung, in die Gili und ich am Montag einziehen, kommen aus Deutschland. Sie haben das Haus, mitten in Tel Aviv, in den 30gern gebaut. Ich freue mich sie kennen zu lernen, und ein wenig Deutsch plaudern zu können. Vorher, auf dem Spielplatz, hat mein Neffe Yonatan den Ball auf eine Frau geworfen. Ich bin hingegangen, habe den Ball abgeholt, und sagte ihr – "Entschuldige bitte." Sie guckte mich verwirrt an – und ich sagte, mit einem kleinen Lächeln, "Sliha."

Liebe Grüße an alle in Deutschland,

Ofer