Donnerstag, 31. Dezember 2009

Israelisches Tagebuch 18

"Bergluft, klar wie Wein…" so beschreibt ein berühmtes Lied die jerusalemer Luft. Klar wie Wein? Dieser Satz klingt auf Hebräisch sehr schön und poetisch, für mich bleibt er aber ehr unverständlich. Die jerusalemer Luft aber, klar und süß, einmalig in der ganzen Welt, ist ein Teil von mir. Ich kann sie in mir hervorrufen egal wo ich bin, ob ich grade die verpestete Luft unter der Brücke am Bahnhof Zoo in Berlin atme oder die schwere, dicke Luft die man um sich hat in den Gängen die zum Orchestergraben führen, in Nürnberg wie in Tel Aviv.

Jedes Mal, wenn ich nach Jerusalem fahre, genieße ich diesen Moment – kurz bevor man die Stadt sieht, in der letzten Kurve von der israelischen Strasse Nummer 1, mache ich das Autofenster auf und atme tief ein.

Gestern Abend bin ich wieder nach Jerusalem gefahren. Mit mir im Auto saß ein guter Freund, der sich ein "Israelischer Weiß-Deutscher" nennt, oder ein "Weißer Deutsch-Israeli", na ja, dass kommt wenn man in Weißrussland geboren wurde, in Israel aufgewachsen ist und in Deutschland lebt. Er ist kurz zu Besuch nach Israel gekommen, und als ich eine Einladung von einem deutschen Zentrum für eine "echte deutsche Silvesterparty" (echt bis auf die Tatsache, dass sie ein Tag zu früh stattfand) bekommen habe dachte ich, ihn nehme ich mit.

Das Zentrum liegt auf der "grünen Linie", der offizielle Name der ehemaligen (und hoffentlich, irgendwann, zukünftigen) Grenze zwischen den Palästinensischen Gebieten und Israel. Ihr fragt, wie ein Haus "auf der Grenze" liegen kann? Oh, das ist einfach. Als die Menschen von der Uno die Grenze zwischen Israel und dem jordanischen Königsreich (das damals die Palästinenser besetzt hat) markiert haben, nahmen sie sehr grobe Landkarten und einen sehr dicken grünen Stift. Und so kam es, dass ein Strich von dem Stift auf der Karte in der Realität ungefähr 500 Meter breit ist, und keiner weiß – ist diese Strasse auf der israelischen Seite? Auf der jordanischen? Auf jeden Fall liegt dieses Haus in einer atemberaubenden Lage – man kann vom Balkon den Ölberg sehen, die Altstadt mit dem Tempelberg, und an einem klaren Tag große Teile der judäischen Wüste.

Sorgenlos wie ich bin habe ich das Auto in einer arabischen Strasse geparkt und bin mit meinem Freund die Treppen hochgeklettert in das Haus. Deutsche, Israelis, und Palästinenser, die meisten mit einer Flasche "Goldstar" in der Hand (das ultimative israelische Bier, das einem am nächsten Tag das Gefühl gibt, man wäre lieber an einem Attentat gestorben) haben uns dort begrüßt. "Servus, Marhaba, Schalom" sind um uns geflogen in jedem Zimmer das wir betraten. Das Haus war offensichtlich ein altes Arabisches Haus – die dicken Steinwände, der Steinboden mit den bunten Mustern, die grünen Fenster, und die hohen, gebogenen Decken sind ein Merkmal für die wunderschöne arabische Baukunst.

Es fühlte sich aber schon ein wenig merkwürdig – wie ein Treffen von Menschen, die im Exil leben, obwohl die meisten von ihnen (und ich ja auch) aus Jerusalem kommen. Aber irgendwie herrschte in dem Raum eine leise Sehnsucht nach Deutschland, die Sehnsucht derer die in Deutschland ein zweites Zuhause, eine Wahlheimat gefunden haben, und die mit aller Kraft zeigen wollten – wir gehören dazu, wir lachen über Ostfriesenwitzen, (habt ihr den gehört – wieso lacht man über die Ostfriesen? Sodass man nicht immer über die Bayern weinen muss), wir lieben gutes Bier und gutes deutsches Brot, wir gehören (nicht nur) zu dieser stickigen Masse von diesen sich gegenseitig abschlachtenden Barbaren des Nahen Ostens.

Der Höhepunkt des Abends war – wie denn sonst – "Dinner for one". Makaber, kann ich sagen, kam es mir vor. Wir Saßen alle in einem Raum, der deutsche Pfarrer der Augusta-Victoria Kirche, mein deutscher Dozent von der Uni, Palästinensische Uno-Mitarbeiter aus den besetzen Gebieten, junge Antifa Mädchen aus Deutschland mit einem Palästinensertuch (oder besser, mit einem Palästinenser) um den Hals, und verlorene Israelis wie ich und mein Freund, und haben mit einer unmöglich bunten Mischung von Akzenten und Sprachfehlern "Same procedure as every year Miss Sophie? Same procedure as every year, James!" gerufen.

Der herbe Geschmack von Exil, der leise Geruch von Fremdsein herrschten im Raum, und ich dachte mir – ich kenne das, aus Deutschland, aus Tel Aviv, und nun auch aus Jerusalem. Und wie der Geruch von Kamelenscheisse auf die man getreten ist, so ist auch das Gefühl des Fremdseins – es lässt einen nie wieder los.

Euch allen einen guten Rutsch und ein frohes neues Jahr,

Euer Ofer

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