Montag, 9. November 2009

Israelisches Tagebuch 10

Liebe Freunde,

ich habe mir ganz schön viel Zeit gelassen zwischen dem letzten Eintrag und diesem. Es liegt nicht daran, dass ich nichts erlebt habe – wie Ihr Euch vorstellen könnt, war schon ziemlich viel los seitdem ich Euch was geschrieben habe.

Mein Leben bewegt sich auf verschiedenen Ebenen, die wenige Gemeinsamkeiten miteinander haben. Auf der einen Seite, bin ich jetzt voll beschäftigt in meinem Orchester, dem "Israel Symphony Orchestra Rishon Le-Zion", oder besser bekannt als das Opernorchester. Der Hauptsitz des Orchesters ist in der Stadt Rishon- Le-Zion (Der erste in Zion), südlich von Tel Aviv. Es gibt eine lustige Geschichte, die diese Stadt gut beschreibt. Vor einigen Jahren, bei einem Schönheitswettbewerb, wurde die Gewinnerin gefragt wo sie herkommt. "Kiew" hat sie gesagt. "Nein, wo kommst Du jetzt her, in diesem Land," fragte der Moderator. "Ah. Rishon Le- Zion". Und so ist es – in den letzten 20 Jahren, seit der großen Migrationwelle von Juden aus der ehmaligen UdSSR, besteht die Bevölkerung dieser Stadt über 50 Prozent aus, naja, Russen. In meinem Orchester sind es ca. 80 Prozent. Na dann, Nastarowia!

Die Kollegen sind eigen, der Chef ist nett und respektiert mich sehr, da er wie ich in Berlin seine seelische Heimat gefunden hat (er war der Assistent von D. Barenboim an der Staatsoper). In der Horngruppe, zum Glück, haben die die in Deutschland studiert haben die Oberhand. Das heißt ich muss meine Spielart nicht adaptieren – ganz im Gegenteil, alle Kollegen geben meiner musikalischen Meinung sehr viel Gewischt. Nichtsdestotrotz bleibt es komisch hier zu spielen, auf Hebräisch zu proben, es ist so als ob mein Horn nur Deutsch spricht.

Ich merke sowieso, dass die deutsche Sprache eine der wichtigsten Brücken ist, die ich nach Deutschland gebaut habe. Ich glaube, hätte ich diese Sprache nicht mit Liebe und vollem Einsatz gelernt, wäre meine Zeit in Deutschland nicht nur erheblich kürzer gewesen, sondern auch ärmer. Ich erlaube es mir zu sagen, dass es zwischen meinen Deutschen Freunden – also Euch – und mir keine Sprachbarriere gibt. Und so pflege ich es, jeden Tag Deutsch zu sprechen – sei es an der Uni mit meinem Dozenten für Politik und kollektives Gedächtnis, oder bei einer Veranstaltung des Goethe Instituts (ich war am Freitag auf einem Konzert von den 17 Hippies! Es war großartig!), oder am Telefon mit Freunden aus Deutschland.

Der Unterschied zwischen den Sprachen, Deutsch und Hebräisch, ist aber enorm. Ich wurde mal gefragt, wie man diesen Unterschied beschreiben könnte. Erstmal, wenn man die hebräische und deutsche Versionen des gleichen Buches nebeneinander stellen würde, wäre der deutsche Band ungefähr doppelt so groß wie der hebräische. Und so kam mir einen poetischen Vergleich in den Sinn – entschuldigt mich, ich bin nun mal so – Deutsch ist wie eine Frucht, saftig, voll, mit Worten für jede Beschreibung und jedes Ding, Worten wie "Geborgenheit", wie "Filigran", und auch wie "Rumpf" und "Trinkwasserverordnung". Hebräisch ist das was passiert, wenn man diese Frucht in die Wüste stellt – sie wird klein und schrumplig, ihr Saft wird aber süßer und stärker, so dass wir auf hebräisch Worte haben die gleichzeitig mehrere Bedeutungen haben, wie "Talui", was "kommt darauf an" bedeuten kann, genauso gut aber "Erhängt" oder "Verloren mitten im Leben", kommt darauf an wo man das Wort einsetzt. Lustig, oder?

Ich kann noch vieles schreiben, zum Beispiel über die Demo auf die Gili und ich gestern gegangen sind zum 14 Gedenktag zur Attentat an Yitzhak Rabin, die traurig war, traurig und hoffnungslos, mit leeren Worten von Politikern die uns seit 20 Jahren das gleiche versprechen. Barak Obama hat eine Videobotschaft geschickt, man kann er gut reden, aber 20 km von hier herrschen immer noch Zustände, die an Südafrika der Apartheidzeit erinnern. Und das werden die schönen Worte über "Frieden", "Völkerverständigung" oder "Zusammenleben" nicht verändern. Und wisst Ihr was der Oberhammer ist? Ihr seid die bösen! Ich meine es (Ausnahmenweise) nicht weil Ihr aus Deutschland kommt, sondern weil Ihr "die Welt" seid, diese metaphysische Welt die hinter dem Meer liegt die Juden hasst und sie zum Frühstück auffressen will. Wenn ich bitten darf, wenn es endlich dazu kommt dass Ihr mich frisst, bitte ganz viel Mayo nehmen und keinen Tropfen Ketschop. Und bitte keine Butter dazu. Butter ist ein Milchprodukt, also wäre es nicht Koscher.

Gute Nacht aus Tel Aviv,

Ofer Waldman

p.s. wie böse seid Ihr mir wenn ich Euch erzähle, Zeitmangel und nicht die Temperaturen hindern mich daran, an den Strand zu gehen?

p.s.s. bitte schreibt mir Kommentare, es gibt mir Motivation mehr zu schreiben...

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