Montag, 19. November 2012

Israelisches Tagebuch 59


Liebe Freunde,

was hat es für einen Sinn, wenn man sich ent-schuldigen möchte. Was ist es überhaupt, sich zu entschuldigen. Ist es möglich? Ist es nötig? Wird eine solche Entschuldigung, eine Bitte um Verzeihung, um eine Anerkennung des Willen, miteinander zu leben, anerkannt?

Ein Freund hat geschrieben – ich sollte nicht von "Frauen und Kinder" sprechen, da auch die Männer leiden. Auch du, hat er geschrieben, leidest – mit deiner kleinen Tochter, mit deiner Frau, die heute morgen, nachdem wir Ori in den Kindergarten geschickt hat, plötzlich zu weinen anfing. Das stimmt, habe ich ihm geschrieben, jeder, der in dieser Situation steckt, leidet. Was ist aber dieses Leiden im Vergleich mit dem, was die Menschen im Gaza Streifen gerade durchmachen?

Ist das Wort "Vergleich" hier aber überhaupt angebracht? Was interessiert es den Mann in Gaza, der gerade die Leichen seiner Kinder aus den Trümmern eines aus Versehen bombardierten Hauses trägt, dass Gili und ich Albträume haben? Lindern meine Albträume seinen Schmerz? Nimmt sein Schmerz meinen Albträumen das Schrecken weg?

Ich habe dem Freund geschrieben – die Differenzierung ist ein Garant menschlichen Denkens. Menschlichen Geistes. Ich hüte mich davor, mich in politische Diskussionen einzubringen, weil sie hier keinen Platz haben. Nicht, weil Politik unwichtig ist. Sondern weil meine Welt gerade ganz schön klein geworden ist – 90 mal 90 Sekunden klein – und ich schlicht damit überfordert bin, an die größeren Zusammenhänge zu denken.

Was würde es auch bringen, einen solchen morbiden Vergleich zu ziehen? Die vielen Menschen, die jetzt Tag und Nacht in Facebook aktiv sind, mit Fotoshop Bilder von Kinderleichen nebeneinander einreihen, oder die, die eine beinah göttliche Vorsehung in jeder Bewegung eines heiligen jüdischen Kampfjets sehen, sind für mich Pornographiker die keine Beachtung verdienen. Ich bin zu müde und aufgeschreckt für Propaganda Kriege.

Und doch – die Differenzierung muss gemacht werden. Und wo Leiden entsteht, das durch menschliches Handeln verursacht wurde, entsteht auch Schuld. Ich habe keine Rakete abgefeuert – die größte Mehrheit in Gaza aber ebenfalls nicht. Jedoch zahlt diese Mehrheit einen wesentlich höheren Preis für das Versagen der öffentlichen Systeme in unserer Region, für das Versagen meiner Regierung, der Uno, der EU, der USA, der arabischen Liga. Und was man gerne vergisst – diese Organisationen, Länder und Bündnisse, die übermenschlich groß zu sein scheinen, bestehen nur und allein aus Menschen. Und diese Menschen tragen eine Schuld, auch wenn mit vielen anderen Millionen geteilt. Und ich trage diese Schuld mit.

Bis jetzt habe ich, ehrlich gesagt, meine Beiträge sehr sanft formuliert. Aber heute sind 12 Menschen aus einer Familie in meinem Namen ums Leben gebracht. Ihr Leiden ist meine Schuld, die durch mein eigenes Leiden nicht im Geringsten vermindert wird. Es kann auch gesagt werden – auch durch dieses Bekenntniss, was mir für´s erste ein etwas leichteres Gewissen verschafft, wird diese Schuld nicht getilgt. Das gleiche gilt für diejenigen, die als Reaktion auf meinen Blog mich als "Hardliner Israeli", als "Zyniker" beschimpft haben. Ob ich so bin – ich hoffe nicht, ich versuche es nicht zu sein, aber das werden andere wahrscheinlich anders sehen. Aber allein durch das Schimpfen wird die Verantwortung derer, die mit uns Israelis tag und nacht schimpfen, auch nicht für erfüllt erklärt. Nicht den Palästinensern gegenüber, auch nicht den Menschen in Syrien, die – weil alle Medien auf "unseren" Schlagabtausch konzentriert sind – von dem Assad Regime weiter massekriert werden. Was mein Anliegen wiederum nicht um das Mindeste weniger wichtig macht.

Liebe Freunde, ich füge diesem Beitrag einige Bilder zu, die ich heute in der Oper und in Tel Aviv gemacht habe. Es sind Beweise für die Risse in meiner Realität.

Uns allen eine ruhige Nacht,

Euer Ofer

p.s. - wie gestern schon geschrieben - wenn Ihr das wichtig findet, teilt es bitte weiter. 


Zur Bühne; Zu den Tanzräumen; Zu den Solistenräumen; Zum Luftschutzbunker




Der leere Rabin-Platz - nur die Tauben sind da



Die leere Rotschildalle



Ein öffentlicher Luftschutzbunker, sein Wächter im tiefen Schlaf



Runter zum Schutzraum



Ein leer stehender Spielplatz, um diese Uhrzeit meistens sehr voll



Am Bühneneingang



 Zu den Proberäumen links; Zum Luftschutzraum rechts

5 Kommentare:

  1. Danke für Deine Beiträge. Ich kann sie gut nachvollziehen. Ich kann auch Deine Gaza Eindrücke (Strand etc.) bestätigen. Ich bin mit der großen Politik groß geworden und kann Dein Bemühen um die Nicht-Politik, den subjektiven kleinen Blickwinkel gut verstehen. Sollen andere in ihren Beiträgen die große Weltpolitik weiter betreiben (auch wenn sie keinen Einfluß darauf haben), sie sehen die einzelnen Menschen nicht, oder verstehen das Handeln und die Motive nicht, weil sie schon alles zu wissen glauben. Man darf seine Neugierde und Lernfähigkeit nicht aufgeben. Vielleicht ist es auch eine Frage des Alters und Lebenssituation. Michael

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  2. Lieber Ofer, schreib weiter und mach daraus ein Buch ! Bitte!Und ich wünschte , du könntest meinen alten Vater an deiner Seite haben, der sich mit dem Thema sehr herumschlägt! Wie könntet ihr euch finden!
    Alles Liebe ! Johanna und mit allen !

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  3. Hallo Ofer,
    sende zur späten Stunde Grüße und meine Gedanken in Euere Richtung. Unbekannterweise.
    Zu dem Konflikt haben wir eine Meinung, dass was mich jedoch erschreckt, ist, dass unsere Medien seit Jahren die gleichen Bilder zeigen. Dort das hochgerüstete Israel und auf der anderen Seiten die Palästinenser-Kinder und Familien, die ums Leben kommen.
    Mir ist es völlig gleichgültig ob in der letzten Nacht 3 oder 30 Kinder ums Leben gekommen sind. Wir sind abgestumpft.
    Ich würde gerne Kontakt mit Menschen auf beiden Seiten haben und die Frage beantwortet wissen, ob wieso stehen nicht alle Menschen in Gaza auf und rufen laut "Not in my name".
    Hamas schießt Raketen auf völlig unschuldige Menschen, weil willkürlich ist, wer getroffen werden kann.
    Das Gefühl von einem Terroranschlag jederzeit getroffen zu werden ist schlimmster Terror.
    Insofern hoffe ich, dass die Hamas in Schutt und Asche gelegt wird. Zu hoffen ist auch, dass sich die Menschen die dort als Schutzschild missbraucht werden endlich erheben, statt als Propaganda durch die Hamas missbraucht zu werden.

    Wünsche Euch alles Gute. Und schreib weiter.








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  4. Ergänzung:
    wenn die Hamas tatsächlich 44 Prozent der Stimmen 2006 erhalten und Hamas weder Israel anerkennt und Terroranschlaege gegen die israelische Zivilbevölkerung (Raketenbeschuss) fährt, wenn dem so ist, dann sind auch 44 Prozent der Wahlberechtigten nicht unschuldig und befürworten die kriegerische Auseinandersetzung mit allen Konsequenzen. This is war, people die.

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  5. Lieber Ofer,
    ich schreibe Dir aus Berlin und habe fast täglich beruflichen E-Mailkontakt mit Gili. Ich denke oft an Euch und kann sehr gut nachvollziehen, wie es Euch geht. Stop - eigentlich kann ich es gar nicht begreifen.
    Ich finde Deinen Blog sehr wichtig und Du schreibst sehr schön und selbstreflektiert. Bitte mach´weiter damit.
    Heute war ein großer Aufmacher in der BZ, die ich übrigens alles Andere als toll finde. Aber ich glaube, der Artikel regt viele Berliner zum Nachdenken an.
    Liebe Grüße
    Peter
    file:///C:/Users/Peter%20Kleinw%C3%A4chter/Pictures/Berlin%20Israel.JPG

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