Mittwoch, 21. Dezember 2011

Israelisches Tagebuch 49


Liebe Freunde,

wie lang ist es her – ein halbes Jahr? Vielleicht sogar mehr. Als ich Euch zum letzten Mal schrieb, wohnten wir noch im Zentrum von Tel Aviv, Ori hob nur mit viel Mühe den Kopf, der arabische Frühling war noch sonnig und warm, und Lafontaine knutschte die Wagenknecht noch hinter (roten) verschlossenen Vorhängen.

Jerusalem ist ein wenig winterlich geworden, es überrascht mich, es überrascht die Menschen auf den Straßen, obwohl der Dezember seinem Ende zuneigt und die ersten Hannucka Kerzen schon brennen. Die letzten Wochen waren eigentlich ganz schön warm – am letzten Wochenende haben wir Ori´s ersten Geburtstag draußen gefeiert, auf dem Spielplatz vor unserer neuen Wohnung im Norden Tel Avivs.

Ich dachte – die Tatsache, dass ich nicht mehr schreibe, ist ein trauriger Beweis der menschlichen Natur. Ich entferne mich von meinem früheren Leben in Deutschland (von Deutschland entferne ich mich kaum. Ich lese, schriebe und rede soviel Deutsch wie seit längerer Zeit nicht mehr – wegen meines Studiums), ich weiß nicht mehr, was auf dem Spielplan in Nürnberg steht, ich weiß nicht mehr, ob die S-Bahn in Berlin noch (oder schon) fährt, ich weiß dass der Rösler der neue FDP-Mann ist, es steht im von mir abbonierten "SPIEGEL", aber egal wie oft ich da drin blättere, nirgends steht dort welcher Laden an meiner Ecke in Berlin zu- oder aufgemacht wurde, oder ob man beim "Wanderer" noch draußen sitzen kann.

Aber dann kam eine Traurige Nachricht aus Berlin, und auf einmal habe ich gemerkt – auch wenn das Leben mich in seinem starken Fluss manchmal überwältigt, bleibt ein Teil von mir immer da, in Deutschland, wo ich immerhin zehn Jahre meines Lebens verbracht habe. Ein früherer Kollege von mir aus Berlin, Henry, ist gestorben – und die Kollegen vom RSB hielten es für richtig, auch mich zu informieren. Ihre Geste hat mich so berührt, nicht nur, weil ich seinem Andenken alle Ehre geben wollte – was natürlich das Erste und Wichtigste ist - sondern weil es mir das Gefühl gegeben hat, ich bin noch ein Teil dieser menschlichen Zusammenhänge, dieses menschlichen Gewebes.

Heute brennen die Kerzen in Israel, und am Samstag werden auch bei Euch viele Kerzen brennen. In Nürnberg, in Berlin, bei meinen Freunden, bei Euch, die ich so vermisse.

Ich wünsche Euch ein fröhliches Lichterfest – ob Hannucka oder Weihnachten, Hauptsache im Kreise der Familie und Freunde – ein besinnliches Fest, mit viel Wärme, mit Freude und Gesang, und wenn Ihr schon an einen Juden denkt – denkt auch an mich.

Es gibt noch viel mehr zu erzählen, aber das wird auf das nächste Mal warten müssen – aber nicht zu lang. Versprochen.

Euer Ofer

5 Kommentare:

  1. Hallo Ofer, schön von dir zu hören. Das war klar, dass du nicht ewig so regelmäßig schreiben wirst. Das leben nimmt seinen Lauf...in Gedanken bist du auch oft bei uns. Gruß an Gili und Ori, bis bald, Kerstin und Stefan

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  2. Lieber Ofer, in Warschau brennt ein Chanukka-Leuchter unübersehbar vor dem grottig zuckerbäckerisch-stalinistischen Kulturpalast und bei mir der Adventskranz - und ich denke auch dann an dich, wenn es nicht um Juden geht. Chag sameach, mein Lieber. Dein Georg

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  3. Hallo Ofer -
    vielen Grüße vom Christkindlesmarkt in Nürnberg -
    das schreibe ich , weil du damit sicherlich starke weihnachtliche Gefühle hegst und dich sicherlich gerne mit einem Glühwein in der Hand (9000 l Glühweinstand an der Fleischbrücke) erfreuen würdest.
    Schön dass es offensichtlich deiner Familie und dir sehr gut geht.. Bei uns ist auch alles bestens . (Weihnachtsbraten/ W-essen ) ist alles schon geregelt hahahahaha. An den Mädels sehen wir , dass bald ein neuer Lebensabschnitt folgen wird... Alina wird wahrscheinlich in 1 1/2 studieren...?? ( neuer fester Freund - es tut ihr sehr gut...) bei Tara läuft es auch sehr gut..bei uns sowieso ..
    wir sind glücklich ..nächstes Jahr feiere ich meinen Zenit des Lebens !! 50 ter .. am 11.3.2012 - falls du zufällig in Nürnberg sein solltest ...du bist eingeladen.. Gili und Ori natürlich auch.PS hattest du mein Mail bekommen ??
    Herzliche Grüße an deine Familie und Eltern ..
    Die Löschies

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  4. hab vergessen dir zu sagen -
    Ori ist euch bestens gelungen - eine süße Weihnachtsmischung von euch beiden...
    Herzliche Grüße aus Schwarzenbruck

    Die Löschies

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  5. Lieber Ofer,
    hübsch und entzückend ist die kleine Ori !!Uhnd traurig, dass ein ehemaliger Kollege gestorben ist. Wir trauern auch immer noch um Peter Thalheimer,den Nürnberger Cellisten den du bestimmt gekannt hast. Die Nachricht hat uns im Sommerurlaub in der Schweiz erreicht. Und jetzt zur Weihnachtszeit hat mich die Erinnerung oft gepackt, weil ich mit Peter sooft Weihnachtsoratorium usw. musiziert habe. Wir freuen uns auf deine Neuigkeiten von dir im neuen Jahr. Alles Liebe ! JOhanna, Harald und Paul

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