Montag, 17. Mai 2010

Israelisches Tagebuch 28

Die Flügel zitterten ein wenig, der Druck in meinen durch Erkältung verstopften Ohren wurde unerträglich, aus dem Fenster zeigte sich Tel Aviv, die Lichter umgeben von einer Aura die die schweißauslösende Luftfeuchtigkeit verriet. Meine 12 Zaubertage in Deutschland sind vorbei, jetzt erwartet mich meine liebende Frau und lange Proben für die vierte Sinfonie von Mahler, und 35 Grad im Schatten.

Ich spüle aber den Film ein wenig zurück.

Erstmal kam Berlin, kalt, regnerisch, freundlich auf einer Art, die nur Berlinliebende nachvollziehen können. Ich habe mir einen ganzen Tag frei genommen, um durch Prenzlauer Berg, mein altes Zuhause, spazieren zu gehen. Der Helmholtzplatz, das Ludmila Café in der Sredzkistrasse, die freundlichen Alkoholiker die den freundlichen Kiffern beim Tisch-Tennisspiel zusehen, müde, glückliche Mütter mit schicken Kinderwaggons, und ein Duft von Freiheit, echter Freiheit, Berliner Freiheit, halt.

Meine Band und ich haben vier Konzerte in drei Tagen gegeben. Wir hatten die Ehre im "Café Burger" zu spielen, Quelle von guter Laune und feiner Musik in Berlin seit den 30gern, wir gaben ein Konzert in einem halb-legalen russischen Schuppen an der Spree, mit lauten "Daragoj" und "Nastarowia" Rufen, wir haben in einem anderen Club eine wahnsinnige 20ger Jahre Party erlebt, der absolute Höhepunkt war aber zweifelsohne am Samstag, den 8.5, im Babylonkino in Berlin-Mitte. Wir wurden kurzfristig bestellt wegen einer unerwarteten Absage. Und so sind wir am frühen Abend ins Kino gekommen, um auf einer Veranstaltung zu spielen mit dem Titel – "Linke Kinonacht – Tag der Befreiung". Aha.

Als wir in den großen Saal einmarschiert sind lief noch ein Film, nach dem wir hätten spielen sollen. Schwarzweiße Figuren von russischen Soldaten füllten die Leinwand. Mit hellem Schopf, ständig singend, sind sie durch Dörfer marschiert, wo wunderschöne, ebenfalls blonde Mädchen sie mit Blumen zugeworfen haben. Auf einmal – Schreck – ein deutscher Soldat. Einer der russischen Soldaten läuft ihm hinterher, der Deutsche versucht zu fliehen, ist aber durch seine eigene Angst verwirrt und bald stolpert er, und mit einem Blick voller Terror hebt er einen Arm um mögliche Schläge von seinem Gesicht abzuhalten. Der "Iwan" will ihn tatsächlich ein Paar Ohrfeigen geben, dann kommt aber sein Offizier – unverkennbar mit einem gigantischen Stern (der trotz der Schwarzweißversion rot zu schimmern schien) – hielt die Hand, die schlagen wollte, und sagte – "Nein, Kamerad. Wir machen so was nicht." In dem dunklen Kinosaal gab es vereinzelt Applaus, und ich dachte mir – ich bin selber in einem Film.

Der Auftritt war eigentlich gut, beim "Tum Balalaika" haben einige im Saal sogar mitgesummt, und nach spannenden 45 Minuten nahmen wir Abschied von den jungen Kommunisten und den alten SED…. Oh, sorry, Linke-Funktionären, und sind auf das nächste Konzert gegangen. Es lebe Berlin!

-------------------------------------------------------------------------------------------------------

Ein guter Freund der sein Leben zwischen Berlin und München teilt war so freundlich, um seine Pläne so zu gestalten sodass er mich am Sonntag von Berlin nach Nürnberg mitnehmen konnte. Und so bin ich Sonntagabend in meine alte WG in Nürnberg-Johannes reinspaziert. Ach, Nürnberg, mein geliebtes Nürnberg. Die alten Sandsteinwände, das quietschende alte Eingangstür, und die rrrrrrrrollenden Grrrrrrrrrrüße der Frrrrreude - meine alten Mitbewohner - die mir sofort das Gefühl gegeben haben, dass ich Zuhause bin. Und bald saßen wir alle am Küchentisch, und haben über dieses und jenes geplaudert, und ich dachte mir, genau an diesem Tisch saß ich als ich mich für das Studium in Jerusalem beworben habe, oder als ich die Einladung bekommen habe, die Stelle an der israelischen Oper anzutreten. War das echt erst im letzten Frühling?

Aber es sind ja nicht nur meine lieben Mitbewohner, die mir das Zuhausegefühl in Nürnberg geben. Es gibt ja eine Gruppe von Menschen, die sich aus ganz Deutschland (und Holland! Hab die…!) in Nürnberg versammelt haben um gute Musik zu machen und gute Laune zu verbreiten, die verrückt und lieb und laut und lustig sind, die die versautesten Witze reißen (tut mir Leid, ich kann keine Beispiele geben, es ist ja eine öffentliche Internetseite), die es verdient haben, eine eigene nach ihnen benannte Liebe- und Freundschaftsklausel in dem TVK (Tarifvertrag der deutschen Kulturorchester) zu bekommen – ich rede natürlich von der Horngruppe der Nürnberger Philharmoniker. Die Woche, die wir gemeinsam verbracht haben war wahrlich zauberhaft. Wie sehr habe ich es vermisst, meinen Frack anzuziehen und gemeinsam mit diesen mir so teueren Menschen auf die Bühne der Meistersingerhalle aufzutreten. Normalerweise nenne ich bei diesem Blog keine Namen, und normalerweise versuche ich meine unerträgliche südländische Emotionalität unter Kontrolle zu halten, aber – Michael, Stefan, David, Miriam, Steff und Uli, und natürlich auch Frank und Harald – ich habe Euch echt lieb. Und was für ein Hornfest haben wir da gefeiert! Die Alpensinfonie von Strauss, das vierte Hornkonzert von Mozart, und die Kammersinfonie von Schönberg – jedes Hornherz würde aus Freude fast aus der Brust springen bei einem solchen Programm.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------

Die Tel Aviver Luft ist feucht und schwer, und ich sitze auf meinem Balkon, esse Wassermelone, und lese das, was ich bis jetzt geschrieben habe.

Oft schreibe ich in diesem Blog über den hohen Preis des Exils, über den Preis den man zahlt wenn man zwei "Zuhause" hat. Aber beim Lesen dieses Texts, verstehe ich wie bereichernd es ist, wie wunderschön es sein kann, mich in Deutschland und in Israel, in Berlin, Jerusalem, Nürnberg und Tel Aviv zuhause zu fühlen. Eigentlich, liebe Freunde, bin ich ein glücklicher Mensch.

Liebste Grüße an Euch alle,

Euer Ofer

1 Kommentar:

  1. Hallo Ofer,

    ich sitze hier bei immer noch schaurigem Aprilwetter im Mai und muss an die vergangene Woche denken. Trotz der widrigen Temperaturen wird mir ganz warm ums Herz, als ich dein neues Tagebuch gelesen habe und an die wirklich schönen Momente der vergangenen Woche denke. Es tat so gut dich endlich mal wieder zu treffen. Auch wenn es Monate her ist, seit du Nürnberg verlassen hattest, man empfindet es so als wärst du nie weg gewesen. Nur mit dem Unterschied, dass man sich viel zu erzählen hat.

    Was war das für eine turbulente Woche für dich hier in Nürnberg gewesen und was für ein, auch für uns, vor allem turbulentes Wochenende! Angefangen am Donnerstag bei Michael. Als nach der Probe für das Hornquartett, dem Auftritt zur "Blauen Nacht", alle zusammen kamen um sich wiederzusehen, zu plaudern oder um sich teilweise neu kennenzulernen. Und das ganze bei leckerem Essen. Das nicht zuletzt durch dich, lieber Ofer, und deinen unermüdlichen Einsatz als Grillmeister ("strümpfig" auf nasser Terrasse und nach zwei Stunden völlig eingeräuchert) gelang. Dann der nächste Abend mit diesem grandiosen Konzert in der Meistersingerhalle vor begeistertem Publikum und dem anschließendem Essen beim Italiener um die Ecke. Das Restaurant war fast komplett mit Hornisten und Anhang, mit Fans, Freunden und deren Anhang gefüllt. Es war eine lustige und nette Gesellschaft, die um Mitternacht auf Davids Geburtstag anstieß. Aber wer glaubt, dass so ein schöner Abend um 1.00 Uhr zu Ende ging, wurde eines besseren belehrt. Viele von uns fanden sich in der "Roten Bar" wieder. Alle rückten noch etwas enger zusammen. Durch Davids Geburtstag wurde die Stimmung noch feucht-fröhlicher und die Witze wurden auch nicht anständiger. Während alle so ausgelassen waren und lachten, Stefan Door und solistischer Gast am Konzertabend, gefiel es immer noch auffallend gut bei uns, sah ich in dir, lieber Opfer, wie sich so eine leichte Traurigkeit einschlich. Ich glaube, du warst in Gedanken schon bei deiner Abreise nach Israel, die in nur wenigen Stunden bevorstand. Bevor sich der harte Kern aufmachte die Nacht nicht enden lassen zu wollen, hast du dich von allen verabschiedet. Wir haben dann den Rest der Nacht noch im “Stereo Deluxe" ausgelassen durchgetanzt und sind bei hellem Morgengrauen nach Hause "geschwebt". Unsere lieben Kinder waren gnädig und Stefan und ich konnten noch ein paar Stunden schlafen, bevor wir uns fast alle um 13.00 Uhr im “Goldenen Posthorn" schon wieder trafen, wo uns David zu seinem Geburtstagsessen eingeladen hatte. Es war verdächtig ruhig an diesem Mittag und man verabschiedete sich gut gesättigt relativ schnell wieder um wahrscheinlich noch mal das Ohr aufs Kissen zu legen. David vielleicht auf das Kissen, das er von der Horngruppe geschenkt bekam. Stefan, Michel, Miriam und Steff mussten am Abend noch mal fit sein für ihren Auftritt als Hornquartett zur “Blauen Nacht".

    Was hat Steff mir in den frühen Morgenstunden am Samstag gesagt?
    “Du, den Ofer finde ich total klasse, den mag ich. Das ist ein Super Typ, oder?
    Wir haben dich schon lange ins Herz geschlossen, diese Woche ist wieder jemand dazu gekommen.

    Wir wissen von dir dass du in Israel glücklich bist und wir wissen, dass du wieder kommst. Wir sind wirklich glückliche Menschen.
    Und schon wird es mir warm ums Herz – trotz des beschissenen Wetters.

    Liebe Grüße auch von Stefan und dir und Chili eine schöne Zeit,
    Kerstin

    AntwortenLöschen