Dienstag, 15. Januar 2013

Israelisches Tagebuch 63 - die Wahlen kommen!


Ein Wegweiser der israelischen Politik

Liebe Freunde,

Es ist keine leichte Aufgabe, ausländische Leserschaft über die politischen Verhältnisse in Israel aufzuklären, zwei Wochen vor den Wahlen. Man könnte sagen – es ist nie einfach, einem Außenstehenden klar zu machen wer gegen wen ist, ob in den USA, Griechenland oder Niedersachsen. Jedoch stellt die israelische Politik eine besonders flüssige Version des Demokratiebegriffs dar, dessen Beschreibung den Autoren zum Zurückgreifen auf ungewöhnliche Hilfsmittel zwingt. So entstand die Idee, ein ABC der israelischen Politik aufzuschreiben. Jedoch wirkt sich, wie gleich zu merken sein wird, die paradigmatische Realitätsverzerrung der hiesigen Politik sogar überraschend auf ein solch einfach scheinendes Unternehmen aus.

A: Alternativlosigkeit, zum Beispiel. Der häufigste Satz den ich in meiner europäisch-westlich orientierten Umgebung höre ist – "ich weiß nicht wen ich wählen soll". Dabei hat der israelische Wähler, der sich gerne der "einzigen Demokratie im Nahem Osten" rühmt, mehr als genügend Möglichkeiten – 32 Parteien sind für die bevorstehenden Wahlen zugelassen. Auch in Deutschland gibt es ein Paar unverbesserliche, die es jedes Mal erneut versuchen; dort müssen sie allerdings über eine fünf-prozent Hürde springen. Bei uns genügen ca. 70,000 Stimmen – knapp unter einer ausverkauften Allianz Arena – und man ist in der Knesset, wie unser 120 Mann- und Frau starkes Parlament heißt. Das führt zu einer Zersplitterung der Parteienlandschaft, und die großen Parteien zerbröseln in ihre Einzelteile. So müssten bei uns, um mal den Vergleich mit Deutschland weiter zu ziehen, Andrea Nahles und Peer Steinbrück niemals in einer Partei sitzen, Brüderle wäre gegen Rainer, Philip gegen Rösler, und zwischen Angela Merkel und Roland Koch lägen mindestens fünf Parteien mit verschiedenen Kombinationen der Worte "Deutsch", "Frei", "Union", "Bund", "Christ", und – natürlich – "Vereint". Man könnte also meinen, bei solch einem reichen Parteienspektrum käme jeder auf seinen Geschmack. Jedoch steht schon der Ausgang der Wahlen fest – egal ob "Das jüdische Haus" mehr Stimmen als "Israel ist unser Zuhause" bekäme, "Die Bewegung" mehr als "Die Arbeit" – der nächste Ministerpräsident Israelis wird Benjamin Netanjahu, von allen als "Bibi" bekannt, heißen. Keiner gefährdet seinen Stuhl, er ragt aus dem Parteienmeer heraus als der einzige der die ganze angeblich gegen uns gerichtete Welt aufhalten kann. Die anderen Parteien kämpfen eigentlich nur darum, wer welchen Ministerposten in seinem Kabinett bekommt.

Das führt zum nächsten Wort in "A" – Apathie. Alle wissen, dass es bei den nächsten Wahlen eigentlich um kritische Themen geht - um die Identität Israels als ein demokratischer, menschrechtsachtender Staat, um eine Auslegung des Judentums die die Lehren des zwanzigsten Jahrhunderts nicht vergisst. Man muss wählen gehen, ansonsten gewinnen die, die den Boden mehr achten als den Menschen der auf ihm geht. Man fühlt sich aber machtlos, gelähmt. Hier sitze ich und schreibe diese Zeilen auf Deutsch, statt auf die Straßen zu gehen und die Bilder derer herunterzureißen, die sich und meinen Staat in einem religiösen Gewaltrausch dem Himmel näher bringen wollen. Bilder auf denen immer ein Davidstern zu sehen ist, und ein Soldat, und irgendein gottverlassener Hügel im "heiligen" Westjordanland, auf einer Art die die Geschichte meines Volkes und meines Landes auf pornographischer Weise missbraucht. Und von diesen Bildern herab lächeln uns die sogenannten Nationalisten an weil sie wissen um die süße, unwiderstehliche Verführungskraft ihrer selbstherrlichen Nationalismusparolen, die die müden, komplizierten Argumente für Demokratie, Kompromiss und Pluralismus mit einem Schwenk der Nationalfahne zur Seite wischen.

Und so wird Israel wahrscheinlich auch nach den nächsten Wahlen die Siedlungen ausbauen, die Uno-Resolutionen missachten, und die Zweistaatenlösung endgültig unmöglich machen. Jedoch wird hier ein weiteres "A" kommen, die Bezeichnung eines Staatssystems, die langsam - wenn auch nur flüsternd - in den politischen Diskurs eindringt. Denn es leben mit uns auf diesem Fleck Erde Millionen von Palästinensern, rechtlos, staatenlos, fast ohne Stimme bei diesem Wahlkampf. Wenn wir aber bald keine Lösung finden, die einen unabhängigen Staat Palästina an unserer Seite als Ziel hat, müssten wir sie – nach der bestehenden Logik - weiter besetzen, kontrollieren, segregieren, diskriminieren müssen, wie in Südafrika des letzten Jahrhunderts.

Wie schon erahnt und vorausgesagt, erwies sich der Versuch das Wahlen-ABC aufzuschreiben als äußerst schwierig, und kann hier nur unvollständig abgeschlossen werden. Denn wie sollte man dieses ABC weiterführen, wenn das einzige Wort das einem  unter "B" einfällt "Bibi" lautet?

Seid alle lieb gegrüßt,

Euer Ofer

1 Kommentar:

  1. Das ist mal wieder sehr gut, lieber Ofer. Du solltest es veröffentlichen. Du hast den letzten Krieg überstanden, du wirst auch die nächste Wahl überstehen. Hier entwickelt sich das Wahljahr gerade zur Stand-up-Comedy wegen BER. Das ist auch nicht wirklich schön. Ändern wird sich in unserer Wunderrepublik auch nichts - im Vergleich zu Israel ist das aber halb so schlimm. Sei umarmt.
    Dein Georg

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