Montag, 3. Januar 2011

Israelisches Tagebuch 42

Liebe Freunde,

es ist spät geworden, ich wollte um diese Zeit schon längst im Bett sein, aber in einem Haus in dem ein kleines Baby wohnt gibt es immer was zu tun, was aufzuräumen, zu erledigen, und dazu kommen noch die Berge von Büchern die meine Universitätsprofessoren mir freundlicherweise zum Stopfen meiner nicht vorhandenen Zeitlöcher gegeben haben.

Wieso schreibe ich aber nicht? Wieso benutze ich nicht dieses wunderbare Medium, das an Euch geschriebene Wort, um die mich begebenden Zaubermomente festzuhalten? Davon gibt es nämlich mehr, als man zählen kann. Zum Beispiel letzte Nacht, als ich Gili gesagt habe, Ori wird sowieso bald vom Hunger aufwachen, also soll sie noch ein Weilchen auf meiner Brust schlafen ohne dass wir einen Umstand machen sie ins Bettchen zu bringen. Vier Stunden später bin ich aber selber aufgewacht, senkte meinen Blick, und schaute meine Tochter an, wie sie glücklich schlafend auf mir lag, die Arme rechts und links gestreckt. Oh Glück, oh Freude.

Ich weiß es nicht, ich finde keinen Grund dafür, weshalb ich davor scheue, über Ori zu schreiben. Vielleicht weil dies ein Blog über Israel ist, über Schwierigkeiten und Konflikte, über Ungewissheit und getrübte Zukunft. Ich gestehe – ich habe eine Art Gefühl einer Verpflichtung diesem Blog gegenüber entwickelt, eine gewisse Verantwortung. Nicht nur weil Ihr, meine Freunde, ihn liest – sondern weil andere sich dadurch ein anderes Bild von Israel machen, von Israelis. Weil er vielleicht eines Tages als stiller Beweis dienen wird, Beweis von vernünftig denkenden Menschen, von einer versuchten, in diesem Land selten gewordenen moralischen Haltung Menschen gegenüber. Aber kann ich die Grenzen der von mir gespürten Verantwortung so klar ziehen? Sind sie nicht viel weiter ausgedehnt worden seitdem ich Ori habe?

M. aus Berlin sagte, wenn ein Mensch ein Kind habe, werde seine Präsenz auf der Erde breiter. Ich verstehe jetzt was sie damit gemeint hat. Dieses Gefühl bringt mit sich aber das einfache und klare Verständnis – das Verständnis jenes Unterschieds zwischen 99 Prozent und 100 Prozent Verantwortung.

Und was passiert wenn die eine Verantwortung auf die andere trifft? Wenn die klagende, böses-ahnende die aus meinen Texten hervorgeht sich der anderen, der intimeren und sofortigeren gegenübersteht?

Ihr entschuldigt mich, Ori macht gerade Geräusche und wird gleich wach, und ich will Gili noch ein wenig schlafen lassen.

Seid umarmt,

Euer Ofer

p.s. (ein wenig später) Ori schläft jetzt, und ich böser Jude habe es fast vergessen - Frohes Neues Jahr Euch Allen, Alles Liebe und Gute für 2011, mögen wir uns in diesem neuen Jahr uns öfter sehen!

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