Dienstag, 19. Oktober 2010

Israelisches Tagebuch 37

Liebe Freunde,

ich schaffe es einfach nicht, einen durchgehenden, kohärenten Text zu verfassen. Meine Ideen überleben einen, zwei Sätze, um dann erschöpft sich auf den Punkt zu freuen. Aber ich kann doch nicht einfach einen Satz in die Welt schicken, dass käme einer Beleidigung gleich, was ich Euch aber um keinen Fall zumuten möchte.

Die andere Variante ist aber auch nicht allzu sonnig – nämlich das Schweigen. Ich bin Euch dankbar, dass Ihr Euch über meine langen Pausen nicht beschwert – es kann natürlich auch ein Zeichen dafür sein, dass Ihr wenig Interesse findet an dem, was ich schreibe. Diese Möglichkeit schließe ich natürlich kategorisch aus, und zwar – zugegeben – aus reiner Eitelkeit, jene Eitelkeit die jedem Hornisten bekannt ist, der davon ausgeht, die ganze Welt ist davon fasziniert dass er (oder sie) aus einem langen Rohr komische Töne produzieren kann. Na bravo.

Um dieses erwähnte Schweigen zu brechen, möchte ich Euch ein Paar solche Eindrücke des Alltags beschreiben, und zwar in kurzen Absätzen.

Schwangerschaftstraining

Gili hat es ernst gemeint – wir sollten hingehen, in das Tel Aviver Krankenhaus "Ichilow", um zu lernen wie das genau abläuft, also wie Kinder auf die Welt kommen. Ich erspare uns allen die Witze mit den Störchen, und doch kam ich mir vor wie auf einem National Geographic Set, als wir in das Trainingszimmer hineintraten. Laute Wale, und ich meine es lieb, der Naturschützer der ich bin, schwammen durch das Zimmer. Und genau wie bei National Geographic sind ihnen kleine Fische hinterher geschwommen, dünn und brüchig, vor allem aber bedingungslos ergeben. Ja Männer, wer meinen scharfsinnigen Humor nicht verstehen möchte, ich meine uns. Ihr kennt es alle aus Filmen, die Übungen mit dem Atmen, also erspare ich Euch die Einzelheiten. Die Lehrerin, eine nette Krankenschwester mit einem leichten russischen Akzent, fragte jedes Paar was sie erwarten. "Komisch", sagte sie, als es sich herausstellte dass die meisten im Zimmer ein kleines Mädchen erwarten (wir ja auch!), "heutzutage kommen mehr Jungs zur Welt."

Wie würdet Ihr als Deutsche auf diesen Satz reagieren? Wahrscheinlich würdet Ihr schon bei der Frage, was Ihr erwartet, stützen. Es ist ja in Deutschland unhöfflich so was zu fragen. Und überlegt Euch, wie ein Israeli auf diesen Satz reagieren würde? Ich zitiere das, was eine Mutter gesagt hat – und was wir alle dachten. "Na gut, wir brauchen ja Soldaten."

Mist, ich bekomme rote Augen.

Jahrestag

Es waren so viele Jahrestage in letzter Zeit, und ich habe sie alle unbeobachtet vorbeigehen lassen. Der 20 Wiedervereinigungstag (Gratuliere!) über den ich mich für Euch freue, und der erste Jahrestag meines Umzugs nach Deutschland. Ja liebe Freunde, es ist schon ein wenig mehr als ein Jahr her, seitdem ich nicht mehr allzu oft bei Euch weile (aber doch oft genug, muss man schon sagen). Einige meinen, ich sei versöhnlicher im Ton geworden, was meine Heimat angeht. Einige fragen, wann ich wieder komme. Erstaunlicherweise, kann ich dazu wenig sagen. Mein Blick ist jetzt fest auf die Geburt meiner Tochter gerichtet. Allein dieser Satz, "Die Geburt meiner Tochter", füllt meinen gesamten Horizont, und lässt wenig Platz übrig für Gedanken die mit "was wäre wenn…" anfangen. Der Bauch von Gili, so formuliere ich es, ist das Ausrufezeichen hinter dem Satz "wir leben in Israel!"


Begegnungen mit der Vergangenheit

Bei meinem vorletzten Deutschlandbesuch habe ich bei einer guten israelischen Freundin vorbei geschaut, die gerade eine Wohnung frischbezogen hat. Mit Stolz zeigte sie mir die saubere Küche, das große Wohnzimmer, und das Schlafzimmer, das einen komischen Winkel hatte. "Und hier", sagte sie, auf den Winkel zeigend, "könnte man sich ja einen Versteck einbauen, mit einem Doppelboden, so wie bei Anne Frank."

Ich gebe zu, der Gedanke war mir nicht fremd, so wie einigen anderen Israelis die in Deutschland wohnen. Es ist ein Instinkt, das Resultat jahrelanger Erziehung an israelischen Schulen, an denen man Geschichten über Geschichten hört, wie man sich in Deutschland verstecken musste. Es hat nichts damit zu tun, dass man denkt – es ist möglich, die Nazis kommen wieder. Meiner Meinung nach, ist Deutschland der letzte Ort an dem so was wieder passieren könnte. Und doch kann ich mich daran erinnern, als ich in meine Berliner Wohnung eingezogen bin und meine Nachbarn kennen gelernt habe, dass ich mich fragte – würden sie mich beschützen?

Und wenn wir schon mal beim Thema sind – meine Eltern habe mir ein Jahresabo für den "Spiegel" geschenkt. In der letzten Ausgabe stand ein Bericht über die neue Hitler-Ausstellung in Berlin. Ich zitiere: "Eine Kommode aus Hitlers Neuer Reichskanzlei wird schief aufgehängt, statt einfach auf den Boden gestellt; ein die "Volksgemeinschaft" im Krieg heroisierendes Ölgemälde wird schräg präsentiert."

Das wird es schon dem alten Nazi-Monster zeigen! Das nenne ich wahre Vergangenheitsbewältigung!

Sarrazin

Kennt Ihr den neuen Sarrazin Witz? Es gibt das jüdische Gen, auch wenn es sich manchmal versteckt. Es gibt aber auch einen versteckten deutschen Oberlippenbart.

Oh Gott, dieser Beitrag ist ja ganz schön düster geworden. Bitte entschuldigt mich – ich sitze den ganzen Tag und lese über Deutschland im Jahre 1945, was nicht gerade süße Gedanken hervorruft. Ich bemühe mich das nächste Mal!

Bis dahin, Alles Liebe,

Euer Ofer

1 Kommentar:

  1. Liebe Gili, lieber Ofer, ihr müsst nichts lernen über die Geburt eurer Tochter! Sie wird genau wissen, dass und wie sie in auf die Welt kommen wird. Jedenfalls war das bei unserem Paul so. Nicht mal die Handschuhe hat die Hebamme noch anziehen können. Wenn wir uns an etwas sehr schönes erinnern wollen, dann an die Geburt unsres Pauls . Der geht jetzt schon in die Schule ! Unglaublich ! Und alleine zu seiner zugegeben hübschen Zahnärztin !
    Alles Gute für Euch! Johanna und Harald, der den 20 Jahrestag der Wiedervereinigung ganz alleine in seiner Geburtsstadt Jena und mit der Vergangenheit verbracht hat. Seid umarmt!

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