Freitag, 29. Januar 2010

Israelisches Tagebuch 20

Gestern Nacht saß ich im Auto mit einer guten deutschen Freundin, eine Musikerin wie ich, auf dem Weg von Tel Aviv nach Jerusalem (ich weiß, ich wiederhole mich, in jedem Eintrag sitze ich im Auto zwischen Jerusalem und Tel Aviv. So ist es nun mal, langsam kenne ich die israelische Autobahn 1 besser als die angenehme Schokoladenartige Fläche der A9). Wir haben zusammen die Premiere der Oper "Träumendes Kind" gespielt, die aus der ultimativen jüdischen Mischung zusammengesetzt ist – Holocaust, Flüchtlinge, Mutter-Kind Konflikt, und ein Geiger, der umgebracht wird während er das Violinkonzert von Mendelssohn spielt. Oh weh.

Diese Freundin, wir nennen sie mal G., ist mein Spiegelbild. Sie kommt aus Berlin und hat dort lange gespielt bevor sie sich entschlossen hat, nach Israel umzuziehen. Ich habe sie gefragt, wieso sie es tat. Und sie hat mich gefragt, wieso ich nach Deutschland ging. Wir Juden sagen, änderst Du Den Ort, änderst Du das Glück. G. meinte, man kann sich an einem neuen Ort neu erfinden, sich neu definieren. Ich habe ihr erzählt, mir kam es anderes vor, als ich nach Berlin kam. Ich kann mich noch heute klar daran erinnern, mit welchen großen Augen ich durch die Strassen und Plätze gegangen bin. Oft saß ich in der U2 auf dem Weg in die Lindenoper, wo ich meinen Hornunterricht bekam, und habe die Werbeplakate gelesen. Noch heute spüre ich den Geschmack der mir damals unbekannten deutschen Worte in meinem Mund. Fern-Uni-Hagen. Bei-Stör-Fall-Bitte-Ruhig-Bleiben. Aus-Stellung-Des-Bundes-Der-Vertriebenen. Manchmal wünsche ich es mir, ich könnte wieder dem Klang der deutschen Sprache wie beim ersten Mal zuhören, ohne die Worte zu verstehen. Was ich aber sagen will ist dass ich mir in Deutschland nie fremd vorkam. Nicht für eine Sekunde. Dass habe ich meiner Freundin G. gesagt – ich musste mich dort nicht "neu" erfinden. Ich hatte das Gefühl, ich erlebe die Geschichten meiner Großeltern wieder. Ich gehe durch die Straßen, ich lesen Ihre Namen, die in meiner Familie eine Art Mythologie geworden sind. Letzterndes war meine Familie, wenn man auf die letzten Jahrhunderte schaut, in Europa zuhause, nicht im Nahen Osten.

Für G. war der Umzug nach Israel eine Erleichterung. Sie meinte, in Deutschland sei alles schon klar definiert, geregelt, gesetzt. Man läuft dort in klare Richtungen. Vielleicht übertreibt sie ein wenig, aber im Vergleich mit Israel hat sie wohl Recht. Hier gibt es noch viel was ungefähr ist, es gibt viele Bereiche des Lebens wofür es hier noch keine Gesetze gibt. Der größte Wunsch eines Musikers in Deutschland, dem ich auch nachging, ist eine feste Stelle zu bekommen, die mit finanzieller Sicherheit verbunden ist – genau die Sicherheit die man in Israel mit einer vergleichbaren Stelle nie hat. Ich sitze ja in einem Opernorchester, was nicht schlechter ist als das durchschnittliche deutsche A-Orchester. Und trotzdem muss ich mich langsam fragen, wie ich meine Miete zahlen soll wenn Kinder noch dazu kommen. (Und wieder kommt die Bitte von Gili – ich soll sagen, dass sie nicht schwanger ist. Noch nicht.)

Leider muss ich jetzt Schluss machen – mein Kurs geht gleich los. Ich drücke Euch alle ganz fest,

Euer Ofer

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