dies ist der letzte Eintrag
für die nächste Zeit. In den Nachrichten steht, dass ab 21:00 jerusalemer Ortszeit
eine Waffenruhe in Kraft treten wird.
Ein deutscher Freund schrieb
mir vor ein Paar Tage eine verzweifelte Mail. Er schrieb von der Kraftlosigkeit
der Worte. Vor der Sinnlosigkeit des ewigen Geredes um Israel, um Palästina. Es
kann gut sein, dass er Recht hat. Meine Worte, diese an Euch seit Donnerstag gerichteten
Worte haben – so habe ich vielen Reaktionen ablesen konnte – vielen das Gefühl
gegeben, einen unmittelbaren Zugang zu den Menschen hinter den Worten zu haben.
Also, hier ist so ein Zugang –
Heute fing eigentlich fast
normal an. Gili ging zum Kindergareten mit Ori, sie hatte ja "Kinder zum
Schutzraum Schleppen" Dienst, was zum Glück nicht in Anspruch genommen
werden musste. Ich fuhr zur Oper, wieder eine ermödende Wozzeck Probe. Da ich
kaum was zu spielen habe, las ich die ganze Zeit die Nachrichten, die alle auf
einen Waffenstillstand hindeuteten. Um Punkt zwölf hatten wir eine kurze Pause,
ich kaufte mir eine Tasse Kaffee und ging raus, um die Sonnenstrahlen zu
genießen.
Um 12:05 explodierte ein Bus
300 Meter von der Oper, auf der König Saul Allee.
Auf Einmal war die Welt wie ein
Ameisennest, auf das man einen Stein geschmießen hat. Polizei, Rettungs- und
Feuerwehrwagen, Syrenen, Rufe. Und das Wort, das man in dieser Stadt seit
Jahren nicht mehr gehört hat. Attentat. Eine Polizistin fuhr an uns vorbei und
rief uns zu – geht rein, wir haben den Terroristen noch nicht gefasst. Ich rief
meinen Bruder an, der ja normalerweise – wenn er nicht gerade als Reservist in
einem Loch im Süden Israels weilt – als Journalist arbeitet, um ihm von dem
Attentat zu berichten. Es war ganz schön laut um ihn, Amit, rief ich – so heißt
er -, hier ist gerade ein Bus explodiert. "Wir sind auf dem Weg nach
Süden," sagte er. "Wie meinst Du das?" Fragte ich. "Wie
soll ich es meinen?Nach Gaza. Also – Berlin oder Rom?".
Da konnte ich nicht mehr,
meine Beine haben gezittert, die Welt drehte sich um mich. Mein Bruder auf dem
weg nach Gaza, meine Tochter und meine schwangere Frau in der Reichweite von
Raketen, und in der Nase der ätzende Rauch von dem brennenden Bus. Und das
Gefühl der Ohnmacht, dass sogar der Boden, auf dem man steht, nicht mehr sicher
ist.
Ich wollte heute gar nicht
schreiben, ehrlich gesagt. Aber es ist gerade die Mail meines teueren Freundes,
die mich dazu gezwungen hat. Weil Worte das einzige sind, was ich zur Zeit
anbieten kann. Es kursierte rum um meine Einträge die Diskussion um die Frage
der Schuld und der Verantwortung. Das Wort "Verantwortung" auf
Hebräisch ist dem Wort "Haftung" identisch. Karl Jaspers schrieb –
"Ein Volk haftet für seine Staatlichkeit". Ich vergleiche den Fall,
auf den sich Jaspers bezog, nämlich Nazideutschland, nicht mit dem Fall Israels im Jahre 2012. Jedoch bleibt dieser
Satz immer richtig, für eine Diktatur, und erst recht für eine Demokratie. Auch
wenn ich die jetztige Regierung nicht gewählt habe, trage ich eine
Verantwortung für das, was in meinem Land geschieht, und für das, was mein Land
anrichtet.
Und diese Worte sind zur Zeit
meine stärkste, fähigste, und auch einzige Waffe. Diese Verbindung zu Euch. Dass
sie auf verschiedene Seiten verbreitet werden, eine andere israelische Stimme
verbreiten. Einen Zugang schaffen. Ich brauche diese Worte, weil ich mit dem
Gefühl der Ohnmacht nicht leben kann.
Waffenstillstand.
Danke für Eure Worte, Danke für Eure Unterstützung, Danke für das Weiterleiten.
Danke für den Zugang.
Seid alle lieb gegrüßt,
Bis zum nächsten Mal,
Euer Ofer
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