Dienstag, 20. November 2012

Israelisches Tagebuch 60


Liebe Freunde,

Jetzt geht das große Warten auf die Waffenruhe los. Und wie es bei den letzten Runden mit Gaza war, schießen sie und wir was das Zeug hält, um noch einen Punktsieg erklären zu können. In den Städten und Dörfern um Gaza sind in den letzten Stunden über hudert Raketen eingeschlagen, auch bei uns liegen die Nerven blank, man reagiert gereizt auf jedes Geräuch. Im Gaza Streifen fordert unsere Armee die Einwohner, den Norden des Streifens zu verlassen, um nicht zum Schaden zu kommen bei den nächsten, heftigen Stunden. Hier und dort sind Menschen ums Leben gekommen.

Seht Ihr – ich habe gerade geschrieben, "unsere Armee".

Heute Nachmittag saß ich im Taxi auf dem Weg nachhause. Der Fahrer war sehr gesprächig. "Der Neger im Weißen Haus ist daran schuld," sagte er, die anderen Autos vor uns hupend. "Der Bush – der hätte es uns erlaubt, den Streifen platt zu machen, diese Hunde." Er machte das Radio etwas leiser und schaute mich im Rückspiegel an, um sicher zu stellen dass ich ihm zuhöre. "Ich habe einen Sohn da unten, Reservist," fuhr er fort, "Und meine große Tochter lebt in Sderot." Er überholte irgendjemand mit einer rückartigen Bewegung, hupte, und fluchte (auf Arabisch, natürlich, wie alle Israelis). Er schaute mich noch einmal an, wahrscheinlich merkte er plötzlich dass ich nicht antworte, oder dass ich ein wenig "feiner" angezogen bin, und dachte sich vielleicht – das ist sicherlich einer von den blöden Linken die gegen den Krieg sind. "Ich habe in Libanon gekämpft, weißt du." Versuchte er mich zu besänftigen. "Ich kann mich an Libanon kaum erinnern," antworte ich, "ich war erst drei."

Er freute sich jedoch offensichtlich dass ich ihm antwortete, und bescherte mich mit Erzählungen über seine Heldentaten. Der Mann hat offensichtlich Beirut allein erobert.

"Am Israeli Chai, motek, am israel chai," sagte er als wir meine Straße erreichten, erleichtert darüber, dass ich ihm doch Trinkgeld gab. "Das Volk Israel lebe, süßer, das Volk Israel lebe."

Unsere Armee, wir. Das ist sehr verführerisch, dieses Wir. Ganz Israel sitzt jetzt vor dem Fernseher, ich ja auch, und bekommt eine konstante Dosis von Patriotismus, von der ewigen israelischen Pathetik zu spüren. So wurde ich ja auch erzogen – Papa kämpfte in ´67, ´73, und alles was dazwischen kam. Mein Bruder verbrachte über ein Jahr in Südlibanon, und als Reservist kämpfte er im Westjordanland. Ich wurde erzogen mit "wir sind ein kleines Land, von Feinden umgeben", oder, "Nie wieder wird ein Jude wehrlos in den Tod gehen". Ich bin mit dem Glauben großgeworden, wir sind das moralischste Land der Erde, sowohl bei der Entstehung wie auch seitdem, in jeder Handlung des Staates.

Heinz Bude unterschied mal zwischen der DDR und der BRD mit dem sehr vortrefflichen Satz – die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war in der DDR auf Tragik basiert. In der BRD basierte sie auf Ironie ("Die Ironische Nation"). Auf Israel trifft die erste Satzhälfte genauso zu – ich bin in einem Land mit wahren Helden und wahren Bösewichten gewachsen, das – genauso wie die DDR – sich als ewigen "Trotz" versteht.

Und da spielt das "Wir" eine immengroße Rolle, dieses Zusammenrücken, vor allem wenn die Kanonen schießen. Und es ist nicht gerade einfach, sich diesem "Wir" zu entziehen, eine Ironie  - also Distanz – davon zu entwickeln. Mein Vater, zum Beispiel, hat sich ganz schön geärgert dass ich in dem ersten Eintrag über den jetzigen Krieg von "Flucht" berichtet habe (so wie der Freund, den ich in dem nächsten Eintrag erwähnt habe).

Aber man kann auch schnell in die andere Richtung rutschen, und versuchen, es den "Europäern" recht zu machen, also das schreiben und sagen was in Berlin oder London für genehm erklärt wird. Applaus macht süchtig, ist verführerisch. Seid immer skeptisch wenn ein Iraner, Ägypter oder Iraker – oder auch Israeli – plötzlich wie Claudia Roth spricht. Nicht, dass das was sie – was wir – sagen nicht stimmt. Aber da man sich von dem einen "Wir" verabschiedete, will man möglich schnell beim anderen "Wir" – also bei Euch – aufgenommen werden. Ich habe es während der letzten Woche versucht, diesem Balance-Akt, dieser doppelten Ironie, gerecht zu werden.

Es ist schon spät, und gerade hieß es in den Nachrichten – keine Waffenruhe, noch nicht. Gili, die auf jeden Fall die Pragmatikerin zuhause stellt, ist gerade ins Bett gegangen nachdem sie den "Dienst" beim Kindergarten mit den anderen Eltern geklärt hat. Morgen ist sie dran – wir machen es so, dass immer zwei Erwachsene der Kindergärtnerin zur Seite stehen. Sollte es zum Luftalarm kommen, nehmen sie dann jeweils zwei Kinder – die Kindergärnterin nimmt eins, sie ist schon etwas älter – und laufen runter zum Schutzraum.

Ich hoffe dass es sich morgen als überflüßig herausstellt.

Seid alle lieb gegrüßt,

Euer Ofer






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