Liebe Freunde,
Jetzt geht das große Warten
auf die Waffenruhe los. Und wie es bei den letzten Runden mit Gaza war,
schießen sie und wir was das Zeug hält, um noch einen Punktsieg erklären zu
können. In den Städten und Dörfern um Gaza sind in den letzten Stunden über
hudert Raketen eingeschlagen, auch bei uns liegen die Nerven blank, man reagiert gereizt auf jedes Geräuch. Im Gaza Streifen fordert unsere Armee die
Einwohner, den Norden des Streifens zu verlassen, um nicht zum Schaden zu kommen
bei den nächsten, heftigen Stunden. Hier und dort sind Menschen ums Leben gekommen.
Seht Ihr – ich habe gerade
geschrieben, "unsere Armee".
Heute Nachmittag saß ich im
Taxi auf dem Weg nachhause. Der Fahrer war sehr gesprächig. "Der Neger im
Weißen Haus ist daran schuld," sagte er, die anderen Autos vor uns hupend.
"Der Bush – der hätte es uns erlaubt, den Streifen platt zu machen, diese
Hunde." Er machte das Radio etwas leiser und schaute mich im Rückspiegel
an, um sicher zu stellen dass ich ihm zuhöre. "Ich habe einen Sohn da
unten, Reservist," fuhr er fort, "Und meine große Tochter lebt in
Sderot." Er überholte irgendjemand mit einer rückartigen Bewegung, hupte,
und fluchte (auf Arabisch, natürlich, wie alle Israelis). Er schaute mich noch
einmal an, wahrscheinlich merkte er plötzlich dass ich nicht antworte, oder
dass ich ein wenig "feiner" angezogen bin, und dachte sich vielleicht
– das ist sicherlich einer von den blöden Linken die gegen den Krieg sind.
"Ich habe in Libanon gekämpft, weißt du." Versuchte er mich zu
besänftigen. "Ich kann mich an Libanon kaum erinnern," antworte ich,
"ich war erst drei."
Er freute sich jedoch
offensichtlich dass ich ihm antwortete, und bescherte mich mit Erzählungen über
seine Heldentaten. Der Mann hat offensichtlich Beirut allein erobert.
"Am Israeli Chai, motek,
am israel chai," sagte er als wir meine Straße erreichten, erleichtert
darüber, dass ich ihm doch Trinkgeld gab. "Das Volk Israel lebe, süßer,
das Volk Israel lebe."
Unsere Armee, wir. Das ist
sehr verführerisch, dieses Wir. Ganz Israel sitzt jetzt vor dem Fernseher, ich
ja auch, und bekommt eine konstante Dosis von Patriotismus, von der ewigen
israelischen Pathetik zu spüren. So wurde ich ja auch erzogen – Papa kämpfte in
´67, ´73, und alles was dazwischen kam. Mein Bruder verbrachte über ein Jahr in
Südlibanon, und als Reservist kämpfte er im Westjordanland. Ich wurde erzogen
mit "wir sind ein kleines Land, von Feinden umgeben", oder, "Nie
wieder wird ein Jude wehrlos in den Tod gehen". Ich bin mit dem Glauben
großgeworden, wir sind das moralischste Land der Erde, sowohl bei der
Entstehung wie auch seitdem, in jeder Handlung des Staates.
Heinz Bude unterschied mal
zwischen der DDR und der BRD mit dem sehr vortrefflichen Satz – die Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit war in der DDR auf Tragik basiert. In der BRD basierte
sie auf Ironie ("Die Ironische Nation"). Auf Israel trifft die erste
Satzhälfte genauso zu – ich bin in einem Land mit wahren Helden und wahren
Bösewichten gewachsen, das – genauso wie die DDR – sich als ewigen "Trotz"
versteht.
Und da spielt das
"Wir" eine immengroße Rolle, dieses Zusammenrücken, vor allem wenn
die Kanonen schießen. Und es ist nicht gerade einfach, sich diesem
"Wir" zu entziehen, eine Ironie
- also Distanz – davon zu entwickeln. Mein Vater, zum Beispiel, hat sich
ganz schön geärgert dass ich in dem ersten Eintrag über den jetzigen Krieg von
"Flucht" berichtet habe (so wie der Freund, den ich in dem nächsten Eintrag
erwähnt habe).
Aber man kann auch schnell in
die andere Richtung rutschen, und versuchen, es den "Europäern" recht
zu machen, also das schreiben und sagen was in Berlin oder London für genehm erklärt
wird. Applaus macht süchtig, ist verführerisch. Seid immer skeptisch wenn ein
Iraner, Ägypter oder Iraker – oder auch Israeli – plötzlich wie Claudia Roth
spricht. Nicht, dass das was sie – was wir – sagen nicht stimmt. Aber da man
sich von dem einen "Wir" verabschiedete, will man möglich schnell
beim anderen "Wir" – also bei Euch – aufgenommen werden. Ich habe es während
der letzten Woche versucht, diesem Balance-Akt, dieser doppelten Ironie,
gerecht zu werden.
Es ist schon spät, und gerade
hieß es in den Nachrichten – keine Waffenruhe, noch nicht. Gili, die auf jeden
Fall die Pragmatikerin zuhause stellt, ist gerade ins Bett gegangen nachdem sie
den "Dienst" beim Kindergarten mit den anderen Eltern geklärt hat.
Morgen ist sie dran – wir machen es so, dass immer zwei Erwachsene der
Kindergärtnerin zur Seite stehen. Sollte es zum Luftalarm kommen, nehmen sie
dann jeweils zwei Kinder – die Kindergärnterin nimmt eins, sie ist schon etwas
älter – und laufen runter zum Schutzraum.
Ich hoffe dass es sich morgen
als überflüßig herausstellt.
Seid alle lieb gegrüßt,
Euer Ofer
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