Mittwoch, 21. November 2012

Israelisches Tagebuch 61 - Waffenstillstand

Liebe Freunde,

dies ist der letzte Eintrag für die nächste Zeit. In den Nachrichten steht, dass ab 21:00 jerusalemer Ortszeit eine Waffenruhe in Kraft treten wird.

Ein deutscher Freund schrieb mir vor ein Paar Tage eine verzweifelte Mail. Er schrieb von der Kraftlosigkeit der Worte. Vor der Sinnlosigkeit des ewigen Geredes um Israel, um Palästina. Es kann gut sein, dass er Recht hat. Meine Worte, diese an Euch seit Donnerstag gerichteten Worte haben – so habe ich vielen Reaktionen ablesen konnte – vielen das Gefühl gegeben, einen unmittelbaren Zugang zu den Menschen hinter den Worten zu haben.

Also, hier ist so ein Zugang –

Heute fing eigentlich fast normal an. Gili ging zum Kindergareten mit Ori, sie hatte ja "Kinder zum Schutzraum Schleppen" Dienst, was zum Glück nicht in Anspruch genommen werden musste. Ich fuhr zur Oper, wieder eine ermödende Wozzeck Probe. Da ich kaum was zu spielen habe, las ich die ganze Zeit die Nachrichten, die alle auf einen Waffenstillstand hindeuteten. Um Punkt zwölf hatten wir eine kurze Pause, ich kaufte mir eine Tasse Kaffee und ging raus, um die Sonnenstrahlen zu genießen.

Um 12:05 explodierte ein Bus 300 Meter von der Oper, auf der König Saul Allee.

Auf Einmal war die Welt wie ein Ameisennest, auf das man einen Stein geschmießen hat. Polizei, Rettungs- und Feuerwehrwagen, Syrenen, Rufe. Und das Wort, das man in dieser Stadt seit Jahren nicht mehr gehört hat. Attentat. Eine Polizistin fuhr an uns vorbei und rief uns zu – geht rein, wir haben den Terroristen noch nicht gefasst. Ich rief meinen Bruder an, der ja normalerweise – wenn er nicht gerade als Reservist in einem Loch im Süden Israels weilt – als Journalist arbeitet, um ihm von dem Attentat zu berichten. Es war ganz schön laut um ihn, Amit, rief ich – so heißt er -, hier ist gerade ein Bus explodiert. "Wir sind auf dem Weg nach Süden," sagte er. "Wie meinst Du das?" Fragte ich. "Wie soll ich es meinen?Nach Gaza. Also – Berlin oder Rom?".

Da konnte ich nicht mehr, meine Beine haben gezittert, die Welt drehte sich um mich. Mein Bruder auf dem weg nach Gaza, meine Tochter und meine schwangere Frau in der Reichweite von Raketen, und in der Nase der ätzende Rauch von dem brennenden Bus. Und das Gefühl der Ohnmacht, dass sogar der Boden, auf dem man steht, nicht mehr sicher ist.

Ich wollte heute gar nicht schreiben, ehrlich gesagt. Aber es ist gerade die Mail meines teueren Freundes, die mich dazu gezwungen hat. Weil Worte das einzige sind, was ich zur Zeit anbieten kann. Es kursierte rum um meine Einträge die Diskussion um die Frage der Schuld und der Verantwortung. Das Wort "Verantwortung" auf Hebräisch ist dem Wort "Haftung" identisch. Karl Jaspers schrieb – "Ein Volk haftet für seine Staatlichkeit". Ich vergleiche den Fall, auf den sich Jaspers bezog, nämlich Nazideutschland, nicht mit dem Fall  Israels im Jahre 2012. Jedoch bleibt dieser Satz immer richtig, für eine Diktatur, und erst recht für eine Demokratie. Auch wenn ich die jetztige Regierung nicht gewählt habe, trage ich eine Verantwortung für das, was in meinem Land geschieht, und für das, was mein Land anrichtet.

Und diese Worte sind zur Zeit meine stärkste, fähigste, und auch einzige Waffe. Diese Verbindung zu Euch. Dass sie auf verschiedene Seiten verbreitet werden, eine andere israelische Stimme verbreiten. Einen Zugang schaffen. Ich brauche diese Worte, weil ich mit dem Gefühl der Ohnmacht nicht leben kann.

Es ist jetzt schon 21:30. Das heißt –

Waffenstillstand.

Danke für Eure Worte, Danke für Eure Unterstützung, Danke für das Weiterleiten. 

Danke für den Zugang.

Seid alle lieb gegrüßt,

Bis zum nächsten Mal,

Euer Ofer




Dienstag, 20. November 2012

Israelisches Tagebuch 60


Liebe Freunde,

Jetzt geht das große Warten auf die Waffenruhe los. Und wie es bei den letzten Runden mit Gaza war, schießen sie und wir was das Zeug hält, um noch einen Punktsieg erklären zu können. In den Städten und Dörfern um Gaza sind in den letzten Stunden über hudert Raketen eingeschlagen, auch bei uns liegen die Nerven blank, man reagiert gereizt auf jedes Geräuch. Im Gaza Streifen fordert unsere Armee die Einwohner, den Norden des Streifens zu verlassen, um nicht zum Schaden zu kommen bei den nächsten, heftigen Stunden. Hier und dort sind Menschen ums Leben gekommen.

Seht Ihr – ich habe gerade geschrieben, "unsere Armee".

Heute Nachmittag saß ich im Taxi auf dem Weg nachhause. Der Fahrer war sehr gesprächig. "Der Neger im Weißen Haus ist daran schuld," sagte er, die anderen Autos vor uns hupend. "Der Bush – der hätte es uns erlaubt, den Streifen platt zu machen, diese Hunde." Er machte das Radio etwas leiser und schaute mich im Rückspiegel an, um sicher zu stellen dass ich ihm zuhöre. "Ich habe einen Sohn da unten, Reservist," fuhr er fort, "Und meine große Tochter lebt in Sderot." Er überholte irgendjemand mit einer rückartigen Bewegung, hupte, und fluchte (auf Arabisch, natürlich, wie alle Israelis). Er schaute mich noch einmal an, wahrscheinlich merkte er plötzlich dass ich nicht antworte, oder dass ich ein wenig "feiner" angezogen bin, und dachte sich vielleicht – das ist sicherlich einer von den blöden Linken die gegen den Krieg sind. "Ich habe in Libanon gekämpft, weißt du." Versuchte er mich zu besänftigen. "Ich kann mich an Libanon kaum erinnern," antworte ich, "ich war erst drei."

Er freute sich jedoch offensichtlich dass ich ihm antwortete, und bescherte mich mit Erzählungen über seine Heldentaten. Der Mann hat offensichtlich Beirut allein erobert.

"Am Israeli Chai, motek, am israel chai," sagte er als wir meine Straße erreichten, erleichtert darüber, dass ich ihm doch Trinkgeld gab. "Das Volk Israel lebe, süßer, das Volk Israel lebe."

Unsere Armee, wir. Das ist sehr verführerisch, dieses Wir. Ganz Israel sitzt jetzt vor dem Fernseher, ich ja auch, und bekommt eine konstante Dosis von Patriotismus, von der ewigen israelischen Pathetik zu spüren. So wurde ich ja auch erzogen – Papa kämpfte in ´67, ´73, und alles was dazwischen kam. Mein Bruder verbrachte über ein Jahr in Südlibanon, und als Reservist kämpfte er im Westjordanland. Ich wurde erzogen mit "wir sind ein kleines Land, von Feinden umgeben", oder, "Nie wieder wird ein Jude wehrlos in den Tod gehen". Ich bin mit dem Glauben großgeworden, wir sind das moralischste Land der Erde, sowohl bei der Entstehung wie auch seitdem, in jeder Handlung des Staates.

Heinz Bude unterschied mal zwischen der DDR und der BRD mit dem sehr vortrefflichen Satz – die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit war in der DDR auf Tragik basiert. In der BRD basierte sie auf Ironie ("Die Ironische Nation"). Auf Israel trifft die erste Satzhälfte genauso zu – ich bin in einem Land mit wahren Helden und wahren Bösewichten gewachsen, das – genauso wie die DDR – sich als ewigen "Trotz" versteht.

Und da spielt das "Wir" eine immengroße Rolle, dieses Zusammenrücken, vor allem wenn die Kanonen schießen. Und es ist nicht gerade einfach, sich diesem "Wir" zu entziehen, eine Ironie  - also Distanz – davon zu entwickeln. Mein Vater, zum Beispiel, hat sich ganz schön geärgert dass ich in dem ersten Eintrag über den jetzigen Krieg von "Flucht" berichtet habe (so wie der Freund, den ich in dem nächsten Eintrag erwähnt habe).

Aber man kann auch schnell in die andere Richtung rutschen, und versuchen, es den "Europäern" recht zu machen, also das schreiben und sagen was in Berlin oder London für genehm erklärt wird. Applaus macht süchtig, ist verführerisch. Seid immer skeptisch wenn ein Iraner, Ägypter oder Iraker – oder auch Israeli – plötzlich wie Claudia Roth spricht. Nicht, dass das was sie – was wir – sagen nicht stimmt. Aber da man sich von dem einen "Wir" verabschiedete, will man möglich schnell beim anderen "Wir" – also bei Euch – aufgenommen werden. Ich habe es während der letzten Woche versucht, diesem Balance-Akt, dieser doppelten Ironie, gerecht zu werden.

Es ist schon spät, und gerade hieß es in den Nachrichten – keine Waffenruhe, noch nicht. Gili, die auf jeden Fall die Pragmatikerin zuhause stellt, ist gerade ins Bett gegangen nachdem sie den "Dienst" beim Kindergarten mit den anderen Eltern geklärt hat. Morgen ist sie dran – wir machen es so, dass immer zwei Erwachsene der Kindergärtnerin zur Seite stehen. Sollte es zum Luftalarm kommen, nehmen sie dann jeweils zwei Kinder – die Kindergärnterin nimmt eins, sie ist schon etwas älter – und laufen runter zum Schutzraum.

Ich hoffe dass es sich morgen als überflüßig herausstellt.

Seid alle lieb gegrüßt,

Euer Ofer






Montag, 19. November 2012

Israelisches Tagebuch 59


Liebe Freunde,

was hat es für einen Sinn, wenn man sich ent-schuldigen möchte. Was ist es überhaupt, sich zu entschuldigen. Ist es möglich? Ist es nötig? Wird eine solche Entschuldigung, eine Bitte um Verzeihung, um eine Anerkennung des Willen, miteinander zu leben, anerkannt?

Ein Freund hat geschrieben – ich sollte nicht von "Frauen und Kinder" sprechen, da auch die Männer leiden. Auch du, hat er geschrieben, leidest – mit deiner kleinen Tochter, mit deiner Frau, die heute morgen, nachdem wir Ori in den Kindergarten geschickt hat, plötzlich zu weinen anfing. Das stimmt, habe ich ihm geschrieben, jeder, der in dieser Situation steckt, leidet. Was ist aber dieses Leiden im Vergleich mit dem, was die Menschen im Gaza Streifen gerade durchmachen?

Ist das Wort "Vergleich" hier aber überhaupt angebracht? Was interessiert es den Mann in Gaza, der gerade die Leichen seiner Kinder aus den Trümmern eines aus Versehen bombardierten Hauses trägt, dass Gili und ich Albträume haben? Lindern meine Albträume seinen Schmerz? Nimmt sein Schmerz meinen Albträumen das Schrecken weg?

Ich habe dem Freund geschrieben – die Differenzierung ist ein Garant menschlichen Denkens. Menschlichen Geistes. Ich hüte mich davor, mich in politische Diskussionen einzubringen, weil sie hier keinen Platz haben. Nicht, weil Politik unwichtig ist. Sondern weil meine Welt gerade ganz schön klein geworden ist – 90 mal 90 Sekunden klein – und ich schlicht damit überfordert bin, an die größeren Zusammenhänge zu denken.

Was würde es auch bringen, einen solchen morbiden Vergleich zu ziehen? Die vielen Menschen, die jetzt Tag und Nacht in Facebook aktiv sind, mit Fotoshop Bilder von Kinderleichen nebeneinander einreihen, oder die, die eine beinah göttliche Vorsehung in jeder Bewegung eines heiligen jüdischen Kampfjets sehen, sind für mich Pornographiker die keine Beachtung verdienen. Ich bin zu müde und aufgeschreckt für Propaganda Kriege.

Und doch – die Differenzierung muss gemacht werden. Und wo Leiden entsteht, das durch menschliches Handeln verursacht wurde, entsteht auch Schuld. Ich habe keine Rakete abgefeuert – die größte Mehrheit in Gaza aber ebenfalls nicht. Jedoch zahlt diese Mehrheit einen wesentlich höheren Preis für das Versagen der öffentlichen Systeme in unserer Region, für das Versagen meiner Regierung, der Uno, der EU, der USA, der arabischen Liga. Und was man gerne vergisst – diese Organisationen, Länder und Bündnisse, die übermenschlich groß zu sein scheinen, bestehen nur und allein aus Menschen. Und diese Menschen tragen eine Schuld, auch wenn mit vielen anderen Millionen geteilt. Und ich trage diese Schuld mit.

Bis jetzt habe ich, ehrlich gesagt, meine Beiträge sehr sanft formuliert. Aber heute sind 12 Menschen aus einer Familie in meinem Namen ums Leben gebracht. Ihr Leiden ist meine Schuld, die durch mein eigenes Leiden nicht im Geringsten vermindert wird. Es kann auch gesagt werden – auch durch dieses Bekenntniss, was mir für´s erste ein etwas leichteres Gewissen verschafft, wird diese Schuld nicht getilgt. Das gleiche gilt für diejenigen, die als Reaktion auf meinen Blog mich als "Hardliner Israeli", als "Zyniker" beschimpft haben. Ob ich so bin – ich hoffe nicht, ich versuche es nicht zu sein, aber das werden andere wahrscheinlich anders sehen. Aber allein durch das Schimpfen wird die Verantwortung derer, die mit uns Israelis tag und nacht schimpfen, auch nicht für erfüllt erklärt. Nicht den Palästinensern gegenüber, auch nicht den Menschen in Syrien, die – weil alle Medien auf "unseren" Schlagabtausch konzentriert sind – von dem Assad Regime weiter massekriert werden. Was mein Anliegen wiederum nicht um das Mindeste weniger wichtig macht.

Liebe Freunde, ich füge diesem Beitrag einige Bilder zu, die ich heute in der Oper und in Tel Aviv gemacht habe. Es sind Beweise für die Risse in meiner Realität.

Uns allen eine ruhige Nacht,

Euer Ofer

p.s. - wie gestern schon geschrieben - wenn Ihr das wichtig findet, teilt es bitte weiter. 


Zur Bühne; Zu den Tanzräumen; Zu den Solistenräumen; Zum Luftschutzbunker




Der leere Rabin-Platz - nur die Tauben sind da



Die leere Rotschildalle



Ein öffentlicher Luftschutzbunker, sein Wächter im tiefen Schlaf



Runter zum Schutzraum



Ein leer stehender Spielplatz, um diese Uhrzeit meistens sehr voll



Am Bühneneingang



 Zu den Proberäumen links; Zum Luftschutzraum rechts

Sonntag, 18. November 2012

Israelisches Tagebuch 58


Liebe Freunde,

ich habe mir lang überlegt, was ich heute schreiben soll. Anfangen werde ich wieder mit einem großen Dank an Euch alle – die Einladungen fließen ununterbrochen an unsere Mailadressen, sowie die Mutmachungen – und der Satz der sich dabei wiederholt – passt auf Euch auf.

Aber was nun?

Wir sind wieder in Tel Aviv. Gestern standen wir in einem ewigen Stau, da die wichtigste Nord-Süd Axe vom Militär beansprucht wurde, um Truppen und Gerät schnell an den Gaza Streifen bringen zu können. Wir sind an ihnen vorbei gefahren, sie tauchten immer wieder aus der Dunkelheit auf – stille Stahlriesen auf LKWs, ihre Kanonen verhüllt, die kryptischen Schriftzeichen die sie in Einheiten, Herkunft und Ziel einteilen, an ihren Seiten mit grobem weissen Schrift geschmiert . Wie der Stau sich bis nach Tel Aviv zog überkam mich ein mulmiges Gefühl – was würden wir tun wenn dieses blöde Alarm jetzt wieder ertönt? Man fängt plötzlich an, in Distanzen zu denken. Wie lange würden wir bis zu diesem Hauseingang, bis zu dieser Brücke, bis zu dieser Raststätte brauchen?

Zum Glück sind ist es nicht dazu gekommen, die Nacht war ebenfalls ruhig. Da unsere Kindergärtnerin sich damit überfordert sah, ihren regelmäßigen Ablauf zu ändern, sagte sie – "es kann kommen wer will, ich bin da. In den Schutzraum gehe ich aber nicht. Und basta. Und rein statistisch gesehen wird hier sowieso nichts passieren." Nun, ich mag Statistik nicht, vor allem wenn sie sich um die Treffquote von Kindergärten und Raketen dreht. Und so ist Gili zuhause geblieben. Ich musste zur Probe, die 10:30 anfing.

10:30 gab die Oboe das "A" zum einstimmen, 10:31 kam das Luftalarm. Am Anfang haben wir gar nichts gehört, da jeder auf sein Instrument noch ein wenig rumgespielt hat, bis ein Bühnentechniker seinen Kopf in unseren Proberaum steckte uns sagte – ihr solltet vielleicht in den Schutzraum gehen. Wie ich Gili anrief, die sich mit Ori schon im Bombenkeller unter unserem Haus befand – ich war selber im Treppenhaus - haben wir die Explosion gehört. Die Rakete wurde, so haben wir später erfahren, von der Luftabwehr in der Luft zerstört.

Ebenfalls wie bei der zweiten Rakete auf Tel Aviv, vor anderthalb Stunden in etwa. Da waren wir schon alle zuhause, diesmal nahm ich schon Schokokekse mit in den Schutzraum, was bei den Nachbarkindern gut ankam. Ich glaube, für die Eltern nehme ich das nächste Mal Schnaps mit.

Gili ist mit Ori im Badezimmer, und ich schreibe Euch diese Worte. Ich sehe den Schreck in ihren Augen, die Müdigkeit, Ori eine gute Laune vorzuspielen. Ich merke die Spannung in ihren Schultern, ich sehe, wie ihre Hand ihren Bauch weniger streichelt als davor, vielleicht will sie nicht dass unser noch Ungeborenes von diesem Zustand etwas mitbekommt, vielleicht will sie die Schwangerschaft von der Realität, bis die Waffenruhe kommt, beschützen.

Ursprünglich wollte ich Euch von den Reaktionen der Menschen aus der Umgebung berichten –

Von Gilis Mutter, die aus angsvoller Muttersliebe nicht anderes sagen konnte als – "und zieh dich immer schön an, auch im Schutzraum muss man eine gute Figur machen",

Von unserem Dirigenten, der die Heldentat seines Vaters – der während eines Raketenangriffs im Golfkrieg auf der Bühne blieb,und eine zitternde Bach Partita spielte – wiederholen möchte,

Von meiner Freundin in New Jersey, die mir erst jetzt über ihren Schmerz und Leid während des Sturms in den USA berichtet hat, um mir so ihre verzweifelte Teilnahme, ihre mitgespürte Ohnmacht zu zeigen,

Von meiner Nachbarin, die zu alt ist um in den Keller zu rennen – und so fand ich sie heute, oh Gott wie sehr ich mich geschämt habe, in der Dunkelheit des Treppenhauses, vor ihrer Tür, mit einer Decke auf den Schultern, "im Treppenhaus ist man sicher, sagten sie im Radio, in den anderen Kriegen war es sowieso schlimmer, und wie geht es Ori?",

Von der Angst, die wie ein feiner Faden in den Worten meines Bruders der an der Grenze vor Gaza steht, per SMS geschickt, verwoben ist.

Von dem Horror, wenn man von den Toten in Gaza hört. Kinder und Frauen. Familien, die weder Schutzräume noch 90 Sekunden Vorwarnung haben.

Und jede Nacht gehen wir ins Bett, das Fenster offen um das Alarm zu hören, und beim Aufwachen gilt der erste Blick dem Handy – ist es schon vorbei?

Gute Nacht aus Tel Aviv,

Euer Ofer

p.s. es ehrt und freut mich, dass ihr meine Worte weiterverbreitet.


Samstag, 17. November 2012

Israelisches Tagebuch 57


Liebe Freunde,

Und was ist mit Gaza?

Seit drei Tagen berichte ich Euch über die vier Wände meiner Realität, und bekomme die wärmsten, schönsten Reaktionen. Es ist um uns auch ruhig geworden, seitdem wir im Norden sind – aus dem Fenster, aus dem ich schaue, sehe ich grüne Felder, Sonne, idyllische Dorflandschaft. Nur das Drohnen der Kampfjets ist ein Hinweis auf die andere Realität, die dort beginnt, wo die Reichweite der Kassam-, Silsal-, und iranischen Fager Raketen anfängt. Und, eben auch, wo das Ziel der Maschinen, die unweit von hier starten, liegt.

Die Frage, was im Gaza Streifen passiert, ist keine intelektuelle. Sie beeinflußt aufs Engste was in Israel passiert. Vorbei sind die Tage, an denen man auf den Straßen von Tel Aviv über Krieg und Frieden hätte disskutieren können wie auf den Straßen von Berlin, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob die eigene Kindergärtnerin es schafft mit Ori und vier anderen Kindern in 90 Sekunden in den Schutzkeller zu gehen. An der Meinung – man nennt sie politisch – die man äußert, hängt jetzt ein wahres Preisschild.

Also – was ist mit Gaza? Gibt es einen Spalt in der doch immer so blinden Diskussion, zwischen "Israel übt Kriegsverbrechen aus" und "Die Araber sind alle gewalttätig und fanatisch"? Das weiss ich ehrlich gesagt nicht. Wie immer, werden diejenigen die die Weisheit dahinter bezweifeln, einen führenden Hamas-Aktivisten umzubringen, als Verräter gebrandmarkt. Dass der Mann ein, wie man auf Hebräisch sagt, Sohn des Todes war – daran besteht keinen Zweifel. Aber mit wem sollten wir denn sonst reden, gesetzten Falls, wir wollen überhaupt reden? Haben unsere Anführer nicht alle ihre Laufbahn beim Militär angefangen?

Aber andererseits fragt man sich auch – wieso, verdammt, schießen sie diese Raketen ununterbrochen nach Israel? Und zwar immer auf Zivilisten gezielt? Sie leiden unter keiner Besatzung, sie haben von Gaza aus eine offene Grenze nach Ägypten, den schönsten Strand am Mittelmeer, Geld von den Golfstaaten – wieso opfern sie alles auf um alle Paar Tage einige Raketen auf israelische Dörfer und Städte abzufeueren?

Anscheinend sind die Feigen, die Blinden, nicht nur auf unserer Seite an der Macht.

Zurück zu den vier Wänden. Wieder schau ich aus dem Fenster, ein einsames Militärfahrzeug fährt vorbei. Vielleicht ein Offizier, der noch etwas von zuhause nehmen will bevor er sich bei seiner Einheit meldet. Mein Bruder wurde eingezogen, sowie Gilis Bruder auch. Anscheinend brauchen sie keine Musiker, ich werde nicht einberufen. Sie riefen meinen Bruder gestern an, während des Schabbat-Abendessens. Er solle sich doch am nächsten Morgen persönlich an einem Sammelpunkt melden, seine Waffe abholen, und mit einem Transport nach Süden fahren.

Mein Bruder wird in einem Monat vierzig. Er hat zwei Kinder, und eine aus Italien stammende Frau, die gestern, als die Hamas Raketen auf Jerusalem feuerten, zum ersten Mal in ihrem Leben ein Luftalarm gehört hat.

Wir reisen jetzt zurück nach Tel Aviv, wir wollen nachhause. Ich werde heute Abend den Schutzraum etwas sauber machen und Proviant bereit stellen, für alle Fälle. Danach werde ich mit den anderen Eltern von Oris Kindergarten sprechen um eine Lösung zu finden, wie die Kindergärtnerin es schaffen kann, mit fünf Kindern in 90 Sekunden die vier Etagen die den Kindergarten vom  Schutzraum trennen herunterzurennen.

Liebe Grüße aus Israel,

Euer Ofer


Freitag, 16. November 2012

Israelisches Tagebuch56


Meine lieben Freunde,

ich bin von Euren zahlreichen Reaktionen überwältigt. "Kommt doch zu uns", so lauten sie. Wie gerne wäre ich jetzt mit Ori und Gili im Hochtaunus, in Nürnberg, Berlin, Brandenburg oder Hamburg – weit weg von diesem Irrsinn.

Gestern Nacht, nachdem ich Euch ein Paar Zeilen geschrieben habe, stand ich noch kurz am Fesnter. Das Haus von Gilis Eltern liegt unweit von einem Stutzpunkt der israelischen Luftwaffe, und alle Paar Minuten konnte man die drohnenden Motoren der Bomber hören, die in ihrem Bauch, neben den klugen Bomben und schlauen Raketen, die Samen der nächsten und übernächsten Gewaltrunde nach Gaza tragen.

Ein lieber israelischer und deutsch lesender Freund war mit meinem Eintrag gestern nicht zufrieden. Er schrieb – ich weiß nicht genau wieso, aber ich fand es unangenehmen diese Worte zu lesen. Und dann fügte er hinzu – vielleicht weil sie auf Deutsch geschrieben wurden.

Ich kann ihn gut verstehen. Zum einen ist das Fliehen nach einer einzigen Begegnung mit dem Luftalarm oder mit der darauf folgenden Explosion ziemlich feige, und ich schreibe es ganz und gar ironiefrei. Was die Menschen im Süden Israels durchmachen ohne zu fliehen – das ist wahrer Mut. Und die in Gaza können ja gar nicht fliehen. Zum Zweiten – das Wort Flucht hat auf Deutsch einen starken Beigeschmack. Es ist sowohl schwierig, weil man dem Ausland – also Euch – nicht zeigen will, wie lose unser Griff in diesem Boden ist. Und – wie soll ich es schreiben – dieser Freund gehört einer Generation an, die sich das Fliehen abgeschworen hat. Man ist genug auf Deutsch geflohen, jetzt will man auf Hebräisch seßhaft werden.

Und doch. Und doch, dieses Gefühl – mit Socken, Ori auf dem Arm, die Treppen runter, schnell, schnell, im Kopf der Gedanke – das kann doch gar nicht wahr sein, was mache ich da, es handelt sich sicherlich um einen Irrtum. Aber die Hände halten fest, der süße Kindesatem ist in der Nase, und die Beine wissen – 90 Sekunden. So viel Zeit hat man zwischen dem Luftalarm und dem Raketeneinschlag.

90 Sekunden. Los. Wo seid Ihr gerade? Wo lest Ihr diesen Text? Über dem Savigny Platz in Berlin? Wie lang braucht man um zu begreifen, aufzustehen, das Kind nehmen, runterrennen? Seid Ihr in den Stimmzimmern in Nürnberg – da ist man sicher – aber wo ist die Familie gerade? Seid Ihr am Spielplatz in Prenzlauer Berg – schaut um Euch herum, was ist 90 Sekunden weit weg von Euch?

Also sind wir weg gefahren, wie andere auch. Gestern, als ich den Koffer in das Auto steckte, sah ich zwei alte Nachbarn, gebrächlich, leise, wie sie mit einer kleinen Tasche zum Auto laufen. Ich schaute sie kurz an, wie still und gekrümmt sie an uns vorbeigingen. Man wollte sich nicht direkt anschauen, man mied den direkten Blickkontakt. Ehrenhaftigkeit sieht anderes aus, aber die alten Finger der Frau, die in einem Wintermantel ihre Damentasche festhielten, ja ihr ganzes Wesen war um dieses Damentasche gekrümmt, war das Menschlichste was es gibt.

Aus dem Nebenzimmer höre ich – eine Rakete ist in Tel Aviv eingeschlagen. Gili steht an der Tür – wir bleiben hier. Mal schauen, ich habe ja eine Wozzeck Probe am Sonntag. Ich mag diese Musik nicht, und doch will ich eher an die Probe denken. Ich will nicht wieder an den süßen Kindesatem in meiner Nase im Treppenhaus gestern denken.

Es ist meine Therapie, Euch diese Worte schreiben zu können. Ich weiß um Eure Teilnahme. Ich weiß dass F. Seinen neugeborenen Sohn jetzt in Berlin festhält und an uns denkt. Ich weiß dass B. In Brandenburg das Gästezimmer freigemacht hat, so wie M. In Berlin oder im Hochtaunus und viele andere auch. Ihr macht mich stark. Und ich bin Euch für das Recht, dies an Euch schreiben zu dürfen sehr dankbar.

Wenn das vorbei ist, werde ich mich hinsetzen und mir überlegen was zu tun ist. Das Recht, nichts zu tun, ist mir in dem Moment aberkannt worden, in dem Gili, erschöpft, mir ihre Hand gab und eingeschlafen ist. Man kann ja nicht immer fliehen.

Ich habe gestern geschrieben – betet für den Frieden, hier und in Gaza. Ich glaube, es wird mehr als nur beten nötig sein um die Regenschaft der Dummen in unserer Welt abzubrechen.  

Seid alle lieb gegrüßt und umarmt,

Euer Ofer

Israelisches Tagebuch 55

Liebe Freunde,

 bis Gili das Wort ausgesprochen hat, habe ich selber es noch nicht wirklich begriffen. Ori, unsere Tochter, war in warmer Kleidung verpackt auf ihrem Arm, und ich, hinterher, zog einen großen Koffer, auf der einen Schulter das Horn, auf der anderen eine Tasche mit Windeln, Spielzeug, Bananen.

Wir fliehen.

 Wortlos schnallen wir Oris Sicherheitsgurt fest, laden unsere Sachen in den kleinen Hyundai, und fahren los, schnell weg aus Tel Aviv, nach Norden. An der Ampel schaue ich in die anderen Autos. Wahrscheinlich sehen wir auch so aus, Papa blickt starr am Steuer und Mama schaut besorgt auf das Smartphone, auf der Rückbank Kinder die aus der Abendruhe gerissen und in das Auto gesetzt wurden um zu den Großeltern, Freunden, Bekannten zu fahren – Hauptsache schnell weg aus Tel Aviv. Die Ampel wird grün, ich merke wie fest meine Finger das Lenkrad halten. Ori will ihre Kinder-CD hören, und bald ist das kleine Auto voll mit süßen Kinderstimmen. "Komm zu uns kleines Flugzeug, nimm uns mit in den Himmel, wo wir unsere Taschen voll mit Sternen, mit Geschenken für die Kinder, packen werden." Auf der entgegengesetzten Spur fahren Militärfahrzeuge, beladen mit Panzern und Panzerwagen, gen Süden.

Eine Stunde vorher.

 Eine Freundin von Gili war mit ihrem Sohn bei uns, eigentlich mag ich sie nicht so wirklich. Also bin ich in das Schlafzimmer gegangen und habe weiter an meinem Artikel für eine Konferenz gearbeitet. Ori kam hinterher, sie mag den Jungen anscheinend auch nicht so sehr. Sie wollte im Computer Bilder von Nilpferden sehen, sie liebt Nilpferde seitdem wir so ein Vieh im Berliner Zoo gesehen haben. "Noch eins!" kichert sie entzückt in meinen Armen. Gili schaut zu uns ins Zimmer, sie will auch mit uns zusammensein und sich nicht mehr um den Besuch kümmern. Ich lächle sie an und streichle ihren schon etwas größeren Bauch an. Ich lese ihre Lippen wie sie stumm sagt – bald gehen sie, dann komme ich – und wiedme mich weiter meinem Nilpferde-süchtigen Kind.

Kriegsyrene.

Ich denke gar nicht nach. Ich packe Ori, nehm den Schlüßel. Schau Gili an. Sie nimmt ihr Handy. Es fällt kein Wort. Die Freundin murmelt was, ich höre nicht hin, ich denke nur, was mache ich, das kann doch nicht sein. Ich renne aus der Wonung. Treppenhaus, Stimmen von Nachbarn. Hast du den schlüßel. Habe ich. Komm. Wir laufen die Treppen herunter. Ori sagt kein Wort, hält mich aber fest. Im Bombenkeller brennt schon Licht, ich sehe Ayala aus dem Erdgeschoss. Ihr großer Junge zittert am ganzen Körper. Ich lächele ihn an, Ori fängt an zu singen. Ich liebe mein Kind. Gilis Freundin, inzwischen auch unten mit ihrem Sohn angekommen, ist hysterisch. Ich schaue sie an, deute auf das kleine Nachbarskind, und bitte sie sich zu besinnen. Die Nachbarin weiß nicht wo ihr Mann bleibt, Gili gibt ihr ihr Handy. Er geht nicht ran.

War das eine Explosion?

Ein Nachbar tritt in den Bombenkeller hinein, er hat kein Blut im Gesicht. "Habt ihr das gehört?". Später wird sich herausstellen, die Stadt wurde zu dem Punkt nicht direkt getroffen, Erst später. Ich versuche, mit dem Nachbarskind ins Gespräch zu kommen, im von meinen Erfahrungen vom Golfkrieg, 1991, zu erzählen. Ich sehe in seinen Augen, er hört mir nicht zu. Ich sehe in seinen Augen, er hat Angst.

Die Syrene hört auf. Stille.

Was nun? Ich suche die restlichen Lichtschalter in dem großen, kahlen Raum. Ich schaue Gili an. Sie ist in Ordnung, ich glaube aber, sie kapiert nicht was sich hier abspielt. Ich auch nicht. Wir gehen zurück in die Wohnung. Ich packe mechanisch eine Tasche die ab heute die ganze Zeit voll und bereit neben der Tür stehen wird. Ich schmeiße darin alles mögliche. Wasser, Windeln, Bücher, Kaffe, Schockolade, Klamotten für Ori. Gili packt mich am Arm.

Wir fliehen.

Das Packen geht schnell zu, ruhig, effizient. Ori spielt und singt, ich rufe meine Schwester an, und wenn ich ihr sage – ich bin gerade mit Ori auf dem Arm in den Bombenkeller gerannt – fange ich an zu weinen, heftig. Ich fange mich aber schnell auf, schaue, dass Ori nichts davon mitbekommt. Gili sieht meine Rote Augen. Ich versuche sie anzulächeln, "sollen wir unsere Pässe nehmen," frage ich, "wir können ja nach Berlin fliegen." Ich schreibe schnell auf meine Facebookseite eine Zeile – die ersten Reaktionen kommen auch prompt. Ich bin stolz.

Und jetzt sitzen wir im Galiläa, bei Gilis Eltern. Es ist ruhig, Ori und Gili schlafen schon fest. Vielleicht war es feige zu fliehen, aber im Krieg, mit einem Kind auf dem Arm und einem im Bauch, ist Feigheit der wahre Mut. Es sind aber zwei Bilder, die ich nie im Leben vergessen werde. Wie ich mit Ori die Treppen runterrenne. Und wie Gili vor mir geht, ihr ganzer Körper um Ori gewölbt, der kleine helle Kindeskopf umgeben von den schweren, schwarzen Locken der Mutter, meiner Frau.

Und in diesen Stunden rede ich nicht von Politik, sondern biete Euch an – betet mit mir für alle Mütter, in Gaza und bei uns, die sich jetzt um ihre Kinder wölben, auf der Flucht. Wieder auf der Flucht.

Euer Ofer