Dienstag, 20. Oktober 2009

Israelisches Tagebuch 8

Es ist heiß in Israel, sehr heiß. In Tel Aviv sind es in dieser Woche über 30 Grad, im Süden sogar 40. Ich springe graziös wie ein Frosch von einer Klimaanlage zur nächsten, von meiner Wohnung in den Bus zum zentralen Busbahnhof in Tel Aviv, dann mit der 405 (Der Bus mit der Ehre, der erste der durch eine Selbstmordattentat zerstört wurde) nach Jerusalem, also in das 19te Jahrhundert. In Jerusalem, in einer Wolke von Busausgasen und den Gerüchen von den Falafelläden, mit Schreien von Taxifahrern und Propheten (die beliebteste Berufsgruppe in dieser Stadt), suche ich nach dem Bus zum Mount Scoupus. Dieser Bus fährt durch Stadtviertel die allein von Ultraorthodoxen besiedelt sind. Wart Ihr mal im jüdischen Museum in Berlin? Schaut mal unter "Polend des 19ten Jahrhunderts". So sieht es dort aus. Familien mit 12 Kindern, Männer mit langen Bärten, Läden mit Neonschildern auf Jiddisch wie "Jidd säin ist gliklich säin, käuft brotele bei Yitchak Stäin" (unübersetzbar).

Der Bus steigt mühsam den Berg hoch, und überquert die gefühlte, aber nicht gesehene Grenze zwischen dem neuen, jüdisch-israelischen Jerusalem und dem alten, orientalischen-arabischen Jerusalem. Meine Uni liegt wie gesagt auf dem Mount Scoupus. Dieser Berg war eine israelische Insel in einem arabischen Meer bevor Israel im Sechs-Tage Krieg Ostjerusalem erobert (oh, Verzeihung, befreit) hat. Vor den Toren der Uni ist der "Jerusalem War Cemetery", der britische Kriegsfriedhof. Hier liegen Soldaten die fern der Heimat im ersten Weltkrieg gegen die Türken gekämpft haben und ihr Leben auf die schon mit genügend Blut getränkte Erde Jerusalems gelassen haben. Hier hat auch mein Vater gekämpft – im Augusta-Victoria Krankenhaus. Ja ja, meine lieben deutschen Freunde, auch Eure Herrscher haben Ihre Liebe zur heiligen Stadt gezeigt, unter anderem mit diesem Krankenhaus, nach der Preußenkaiserin genannt.

Als ich 18 war, kurz bevor ich zur Armee ging, brachte mich mein Vater hierher. Der Anblick ist atemberaubend – von dem Park vor dem Krankenhaus sieht man die gesamte Altstadt, mit der Grabeskirche und dem goldenen Al Aksa Moschee. Gen Osten liegt die jüdäische Wüste, zärtliche runde Stein – und Sandhügel, und an einem guten Tag kann man das jordanische Königsreich sehen, Jenseits des toten Meeres. Romantisch, oder?

"Schau her, Ofer," sagte mein Papa. "In Juni 67´ stand hier ein Lager der jordanischen Legion. Wir haben die ganze Zeit auf dem Mount Scoupus gewartet, und zugesehen wie die jordanische Artillerie Westjerusalem bombardiert. Ich wusste dass Deine Mutter dort sitzt, und ich versuchte zu schauen, ob die Bomben dort auch antreffen, wo wir gewohnt haben. Wir warteten und warteten auf den Befehl, im Radio haben wir gehört dass unsere Armee die Sinai Halbinsel erobert hat, und wir fragten uns – wann kommt Jerusalem? Wann bekommen wir den Befehl?"

Mein Papa ist kein Kriegsheld. Er kämpfte nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen, er hat sich auf den Krieg nicht gefreut. Er wusste aber, dass er die letzte Linie ist zwischen den Arabischen Armeen und meiner Mutter, die damals noch nicht wusste dass sie im ersten Monat schwanger war mit meiner Schwester. Dann kam aber der Befehl. Sie sollten von dem Berg, über das Krankenhausgelände in den Rücken der jordanischen Legion vor dem Tempelberg fallen.

"Schau her, wir sind mit dem Jeep auf das Gelände gefahren, und sahen einen jordanischen Soldaten. Er hob seine Arme in die Luft, und wir senkten unsere Waffen. In diesem Moment sprang er zur Seite, und hinter ihm stand ein anderer Soldat, mit seiner Waffe auf uns gerichtet." Mein Papa schaute mich mit einem eindringlichen Blick an. "Ich war schneller, Ofer, und habe hier zum ersten Mal einen Mann getötet. Vergiss es nie."

Und jetzt studiere ich hier, es ist alles friedlich, das Krankenhaus ist immer noch umgeben von schönen Pinienbäumen. Schöne, junge israelische und arabische Studentinnen sitzen in den Schatten dieser Bäume und lernen mit mir über Marx und über deutsche Poesie nach 1945. Das ist Jerusalem, meine Freunde, so sieht mein Leben hier jetzt aus.

Ich drück Euch,

Ofer

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