Ein Wegweiser der israelischen
Politik
Liebe Freunde,
Es ist keine leichte Aufgabe,
ausländische Leserschaft über die politischen Verhältnisse in Israel
aufzuklären, zwei Wochen vor den Wahlen. Man könnte sagen – es ist nie einfach,
einem Außenstehenden klar zu machen wer gegen wen ist, ob in den USA,
Griechenland oder Niedersachsen. Jedoch stellt die israelische Politik eine
besonders flüssige Version des Demokratiebegriffs dar, dessen Beschreibung den
Autoren zum Zurückgreifen auf ungewöhnliche Hilfsmittel zwingt. So entstand die
Idee, ein ABC der israelischen Politik aufzuschreiben. Jedoch wirkt sich, wie
gleich zu merken sein wird, die paradigmatische Realitätsverzerrung der hiesigen
Politik sogar überraschend auf ein solch einfach scheinendes Unternehmen aus.
A: Alternativlosigkeit,
zum Beispiel. Der häufigste Satz den ich in meiner europäisch-westlich
orientierten Umgebung höre ist – "ich weiß nicht wen ich wählen soll".
Dabei hat der israelische Wähler, der sich gerne der "einzigen Demokratie
im Nahem Osten" rühmt, mehr als genügend Möglichkeiten – 32 Parteien sind
für die bevorstehenden Wahlen zugelassen. Auch in Deutschland gibt es ein Paar unverbesserliche,
die es jedes Mal erneut versuchen; dort müssen sie allerdings über eine
fünf-prozent Hürde springen. Bei uns genügen ca. 70,000 Stimmen – knapp unter
einer ausverkauften Allianz Arena – und man ist in der Knesset, wie unser 120
Mann- und Frau starkes Parlament heißt. Das führt zu einer Zersplitterung der
Parteienlandschaft, und die großen Parteien zerbröseln in ihre Einzelteile. So
müssten bei uns, um mal den Vergleich mit Deutschland weiter zu ziehen, Andrea
Nahles und Peer Steinbrück niemals in einer Partei sitzen, Brüderle wäre gegen
Rainer, Philip gegen Rösler, und zwischen Angela Merkel und Roland Koch lägen
mindestens fünf Parteien mit verschiedenen Kombinationen der Worte
"Deutsch", "Frei", "Union", "Bund",
"Christ", und – natürlich – "Vereint". Man könnte also
meinen, bei solch einem reichen Parteienspektrum käme jeder auf seinen
Geschmack. Jedoch steht schon der Ausgang der Wahlen fest – egal ob "Das
jüdische Haus" mehr Stimmen als "Israel ist unser Zuhause"
bekäme, "Die Bewegung" mehr als "Die Arbeit" – der nächste
Ministerpräsident Israelis wird Benjamin Netanjahu, von allen als
"Bibi" bekannt, heißen. Keiner gefährdet seinen Stuhl, er ragt aus
dem Parteienmeer heraus als der einzige der die ganze angeblich gegen uns
gerichtete Welt aufhalten kann. Die anderen Parteien kämpfen eigentlich nur
darum, wer welchen Ministerposten in seinem Kabinett bekommt.
Das führt zum nächsten Wort in "A" – Apathie. Alle wissen, dass es bei den nächsten
Wahlen eigentlich um kritische Themen geht - um die Identität Israels als ein
demokratischer, menschrechtsachtender Staat, um eine Auslegung des Judentums
die die Lehren des zwanzigsten Jahrhunderts nicht vergisst. Man muss wählen
gehen, ansonsten gewinnen die, die den Boden mehr achten als den Menschen der
auf ihm geht. Man fühlt sich aber machtlos, gelähmt. Hier sitze ich und
schreibe diese Zeilen auf Deutsch, statt auf die Straßen zu gehen und die
Bilder derer herunterzureißen, die sich und meinen Staat in einem religiösen
Gewaltrausch dem Himmel näher bringen wollen. Bilder auf denen immer ein
Davidstern zu sehen ist, und ein Soldat, und irgendein gottverlassener Hügel im
"heiligen" Westjordanland, auf einer Art die die Geschichte meines
Volkes und meines Landes auf pornographischer Weise missbraucht. Und von diesen
Bildern herab lächeln uns die sogenannten Nationalisten an weil sie wissen um
die süße, unwiderstehliche Verführungskraft ihrer selbstherrlichen Nationalismusparolen,
die die müden, komplizierten Argumente für Demokratie, Kompromiss und
Pluralismus mit einem Schwenk der Nationalfahne zur Seite wischen.
Und so wird Israel wahrscheinlich
auch nach den nächsten Wahlen die Siedlungen ausbauen, die Uno-Resolutionen
missachten, und die Zweistaatenlösung endgültig unmöglich machen. Jedoch wird
hier ein weiteres "A" kommen, die Bezeichnung eines
Staatssystems, die langsam - wenn auch nur flüsternd - in den politischen
Diskurs eindringt. Denn es leben mit uns auf diesem Fleck Erde Millionen von
Palästinensern, rechtlos, staatenlos, fast ohne Stimme bei diesem Wahlkampf.
Wenn wir aber bald keine Lösung finden, die einen unabhängigen Staat Palästina
an unserer Seite als Ziel hat, müssten wir sie – nach der bestehenden Logik - weiter
besetzen, kontrollieren, segregieren, diskriminieren müssen, wie in Südafrika
des letzten Jahrhunderts.
Wie schon erahnt und
vorausgesagt, erwies sich der Versuch das Wahlen-ABC aufzuschreiben als äußerst
schwierig, und kann hier nur unvollständig abgeschlossen werden. Denn wie
sollte man dieses ABC weiterführen, wenn das einzige Wort das einem unter "B" einfällt "Bibi"
lautet?
Seid alle lieb gegrüßt,
Euer Ofer