Freitag, 28. Mai 2010

Israelisches Tagebuch 29

Liebe Freunde,

mein Gott, welche Aussagen habe ich bei den letzten zwei Beiträgen benutzt, so plump und direkt, "ich will deutsch sein", na so was. Seit 10 Jahren versuche ich es subtil zu sagen, mit leichten Anmerkungen, oder wie es der fantastische Moritz Bleibtreu mal gesagt hat, "(es) muss im Subtext mitschwingen". Er meinte zwar was anderes damit, trotzdem wollte ich mein Auskennen in der hohen deutschen Kultur zur Schau stellen, und dies mit einem Zitat aus dem Film "Lammbock". Man man man.

Es wäre vielleicht besser, ich würde damit aufhören meine betrübte Seele hier offen darzulegen und mich wieder darauf konzentrieren, Euch von der (unmöglichen) israelischen Realität zu berichten, sodass Ihr wisst was ich mache wenn ich nicht grad bei Euch "drüben" spiele, singe oder tanze.

Also.

In einem der ersten Beiträge habe ich darüber geschrieben, wie sehr es die Israelis mögen, daran erinnert zu werden dass sie sich eigentlich im ständigen Krieg befinden, oder zumindest in irgendeiner Art Notzustand. Ich hätte nicht gedacht dass die Regierung diese Sucht, man kann es nicht anderes nennen, öffentlich unterstützen würde, am Mittwoch wurde ich aber eines besseren belehrt.

Ich fuhr von einer Probe Richtung Jerusalem, zur Uni. Es war ein schöner Tag, die Vögel zwitscherten fröhlich, die Autofahrer hupten sich gegenseitig freundlich an, am Eingang zum Jerusalemer Stadtteil Scheich Jarach wünschten Rechts- und Linksaktivisten der jeweiligen anderen Seite einen qualvollen Tod, und ich freute mich auf eine spannende Vorlesung über den Vergleich zwischen den deutschen Vertriebenen aus Danzig und den palästinensischen Vertriebenen aus Jaffa.

Mein Autoradio war an, und auf einmal sagte die Sprecherin – "liebe Zuhörer, wie Ihr wisst, findet heute eine Bombenalarmübung statt. Also nicht erschrecken, es wird jetzt überall im Land ein Bombenalarm ertönen. Wenn Ihr Zuhause seid, so flieht bitte in aller Ruhe in den Bombenkeller, wenn Ihr aber im Auto sitzt, könnt Ihr entspannt weiterfahren." Wie freundlich, dachte ich mir. Also entspannte ich mich, ließ die Autofenster runter, und wartete. Und da kam es.

An diesem Punkt muss ich Euch was erzählen – Ihr kennt solche Alarme entweder aus Erzählungen aus dem großen Krieg oder aus Filmen. Ich aber habe schon als 11 jähriger Junge den Golfkrieg miterlebt, als Saddam Hussein uns feurige Grüße aus dem Zweiflussland schickte. Mann kann sich diesen Klang kaum vorstellen. Er ist überall, und doch weiß man nicht woher er stammt, er verbreitet sich gleichgültig wie flüssiges Blei, ohne erkennbare Anfang und Ende. Rauf und runter, Raketen aus Irak, Bomben aus Libanon, rauf und runter, Gedenktag an gefallene Soldaten oder an Holocaustopfer, rauf und runter.

Damals, im Winter 91´, haben wir Kinder uns mit zwei Dingen beschäftigt. Das erste war natürlich wessen Gasmaskenbox die schönste war (meine natürlich! Meine Schwester hat sie für mich dekoriert!), und was die verschiedenen Alarmsignale bedeuten. Dieses Gebiet der Schreckenmusik hat sich sehr entwickelt seit den 40gern in Deutschland, damals gab es ja lediglich nur Alarm und Entwarnung. In Israel gibt es eine ganze Palette von Signalen, und da ich derjenige bin der in der Familie das musikalischste Ohr hatte, war es meine Aufgabe zu erkennen was sich in der Spitze der irakischen Rakete befindet die sich auf den Weg zu uns gemacht hat. Ruhige Rauf und Runterwellen bedeuten ganz normale Bomben, schnelle rauf-rauf Signale sind chemische oder biologische Waffen (oder wie meine Oma es zu sagen pflegte damals, als sie versucht hat mir durch die Gasmaske Apfelsaft zu geben – Erkältungsraketen), und (soweit ich mich erinnere, es ist schon ziemlich lange her) rauf mit einem Triller oben – Atomwaffen. Als Jerusalemer haben wir übrigens ziemlich schnell erkannt, der liebe Saddam hat Angst davor die heiligen Städte zu treffen, also hat er Jerusalem verschont. Nach ungefähr einer Woche gaben wir uns nicht mehr die Mühe, in das "Sicherheitszimmer" zu gehen, sondern haben lediglich die Fenster aufgemacht sodass sie von den Druckwellen, die die Antiluftraketen der Amerikaner die in der Nähe von Jerusalem stationiert waren erzeugt haben, nicht zersprengt werden.

Ach ja, die Kindheit war schon was Feines. Aber zurück zur Gegenwart, wo ich in meinem Auto sitze und dem Klang der Alarmübung zuhöre. Und auf einmal, unerwartet, ist mir übel geworden, meine Hände fingen an zu schwitzen, mein Mund wurde trocken, und mein Herz raste wie verrückt. Rauf und runter, runter und rauf, es ist nur eine Übung, was ganz normales, ich dachte an die bunte Gasmaskenbox in dem Keller meiner Familie, rauf und runter, mit der Atropinspritze und dem Ersatzfilter, runter und rauf, es ist nur eine Übung, wie sanfte Wellen schaukelte mich das Alarm noch ein Paar mal bevor es verschwand, ohne erkennbare Anfang und Ende.

Liebe Grüße aus Israel,

Euer Ofer

1 Kommentar:

  1. Hey Ofer,

    dazu nur eine kleine Ergänzung: In den 60er Jahren gab es in Deutschland auch regelmäßige Probealarme, denn damals waren wir Westdeutschen ja "Frontstaat" zu den bösen Kommunisten im Osten und die Atombombe dräute jederzeit. Ich erinnere mich noch gut an den Klang und glaube der tönte viel blecherner als am Mittwoch hier in Israel. Ich dachte beim Alarm also: Na, es gibt ja doch einen Fortschritt in der menschlichen Gesellschaft. Klingt zwar schrecklich, aber früher war er noch schrecklicher. Was wir damals gemacht haben in den 60ern, weiß ich nicht mehr. Viele Jahre später habe ich dann den berühmten amerikanischen Atom-Notfall-Erziehungsfilm mit der Schildkröte gesehen ("duck and cover") und mich köstlich amüsiert. Unsre Eltern, die noch den großen Krieg, wie du es nennst, miterlebt haben, haben das sicher anders gesehen. Wir Europäer können uns Krieg einfach nicht mehr richtig vorstellen. Wenn man ein bisschen länger hier ist, versteht man's ein wenig besser - und versteht Israel ein wenig besser und versteht Palästina ein wenig besser - und alle sicheren Urteile und Standpunkte geraten ins Wanken. Und das ist es auch, was mir an deinem Blog so gut gefällt.
    Georg aus Tel Aviv

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