Dienstag, 18. Mai 2010

Ergänzungsbeitrag zum Tagebuch 28

Direkt nachdem ich den letzten Eintrag geschrieben habe, vor etwa sechs Stunden, bin ich mit Gili ins Auto gestiegen und nach Jerusalem gefahren.

Während der Fahrt dahin, und vor allem während der Fahrt zurück, durch die feuchte Nacht, habe ich an das gedacht, was ich geschrieben habe. Auf Einmal dachte ich mir, vielleicht habe ich einen Irrtum begangen, indem ich nur die Freunde aus der Nürnberger Horngruppe erwähnt habe. Das ganze Staatstheater, vom Personalbüro bis zu den Kantinenmitarbeitern, sogar mein alter irakischer Freund vom Hauptmarkt, sie alle haben mich mit offenen Armen in Nürnberg empfangen. Und was ist mit den ganzen Berliner Freunden? Mit M., bei der ich jedes Mal wohne, die für mich meine deutsche Familie ist? Was ist mit den ganzen Freunden aus der Nachbarschaft in Prenzlauer Berg, was ist mit A., die mich über so lange Strecken in meinem Leben in Berlin begleitet hat? Was ist mit meinen Lehrern und Kommilitonen aus der Uni? Wieso haben sie es nicht verdient, erwähnt zu werden?

Bevor ich die Antwort schreibe, die ich für mich gefunden habe, muss ich eine Feststellung machen. Ich lösche nie etwas, was ich in diesem Tagebuch schreibe. Diese Texte sind nicht nur dazu da, Euch davon zu berichten was ich so mache und sehe in Israel, oder um den Kontakt nach Deutschland zu erhalten. Sie sind auch dazu da um mir zu helfen, diesen krassen Wechsel in meinem Leben zu verarbeiten, zu verstehen. Deswegen wird nie was gelöscht oder verändert. Und jetzt zu meiner Antwort.

Es gibt in der Tat eine Sache, die meine Verbindung zu der Horngruppe in Nürnberg von all den anderen Verbindungen unterscheidet. Ich bin, wie Ihr alle wisst, Israeli. Ein großer Teil von mir wollte (und will immer noch) deutsch sein. Ich wurde die ganzen Jahre von einem Gefühl begleitet, von einem Wunsch, dazu zu gehören. Deswegen versuche ich immer wieder den Berliner Dialekt zu sprechen, obwohl es F. immer tierisch auf die Nerven geht und er es lächerlich findet. Deswegen saß ich im Frankenstadion und habe gesungen "FCN, come again, Sieg für Sieg, Tor für Tor…", deswegen hing eine Deutschlandfahne an meinem Roller während der 2006 WM. Aber in all den Freundschaften die ich in Deutschland hatte, war ich entweder Ofer, oder ein Israeli. Nicht dass ich wie einen Fremden behandelt wurde – um Gottes Willen. Ich wurde wie einen Freund behandelt, ja bei einigen wie ein Familienmitglied – aber ein Deutscher war ich nie, werde ich auch nie sein.

Es gab aber einen Ort, bei dem ich ein sehr starkes Zugehörigkeitsgefühl hatte – einmal dürft Ihr raten wo. Man darf nicht vergessen – mein erstes, offizielles Ziel in Deutschland war es, als ebenbürtigen Hornisten dort akzeptiert zu werden, und in eine Horngruppe aufgenommen zu werden. Dieses Gefühl hatte ich in keinem der Orchester, bei denen ich in Berlin gespielt habe. Bei den Nürnbergern aber, in diesen Momenten wo wir zusammen musizierten, wo wir zusammen Schnaps getrunken haben, Kicker gespielt haben, miteinander geredet haben, da war ich ein Teil einer deutschen Horngruppe, und war, ganz einfach, glücklich. Da habe ich dazu gehört. Als Freund und Kollege. Und dafür bin ich meinen Freunden aus dieser Gruppe sehr dankbar. Es ist auch kein Wunder dass der Ort, an dem mir der Wiedereintritt in die israelische Atmosphäre am schwierigsten fällt, die neue israelische Oper ist. Für mich ist Oper gleich Deutschland, darüber habe ich ja auch schon einiges geschrieben.

Eine lustige Geschichte will ich Euch zum Abschluss erzählen – heute, bei der Probe, wollte ich aufs Klo. Leider war die Tür zu, und man konnte nicht erkennen ob jemand drin war oder das Klo einfach zugesperrt war. Ich habe also zwei drei Mal geklopft, und nach kurzer Zeit öffnete ein Schlagzeugkollege die Tür. "Savlanut, Deutschland, savlanut!" Sagte er mit einem Lächeln. Savlanut heißt Geduld – aber Deutschland heißt Deutschland, also so heiße ich anscheinend bei einigen Kollegen. Wenn das Kein Beweis meines deutschen Daseins ist….

Ich habe mir mit diesem Eintrag einen Stein vom Herzen entfernt, sowie einen Besuch beim Psychologen gespart. Ich danke Euch dafür.

Gute Nacht aus Tel Aviv,

Euer Ofer

p.s. (ja ja, es geht weiter): Man müsste sich auch fragen, wieso ich meine Band nicht so erwähne als das deutscheste was ich in Eurem Land habe. Das Ding ist aber so – diese Band ist zusammengestellt von lauten Wahlberliner, die eigentlich so wie ich in einer Art ewigem Exil leben. Sogar der einzige Deutsche in der Band kommt aus dem Süden, und hat mit Berlin am meisten zu kämpfen als wir alle, die eigentlich Ausländer sind.

1 Kommentar:

  1. Hi Ofer,

    ...und dann fährst Du nach Island und lernst sogar da 2 Süddeutsche kennen. ;-)

    LG
    CD

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