Ein Kollege aus Nürnberg hat mir mal gesagt, als wir über unseren Beruf geredet haben, die deutschen Berufsmusiker seien "wie die Bergbauer, eine Berufsgruppe die sich seit hundert Jahren nicht verändert hat." Recht hat er. Ich kann es zwar schwer beschreiben, aber wenn man in einem deutschen Orchester spielt, und die Außenwelt anschaut – eine Welt die immer höher, schneller, größer, teuerer sein will – merkt man mit welcher Gemütlichkeit man seinen Beruf ausübt. Die gleichen Witze die die Musiker der Krolloper in Berlin zum Lachen gebracht haben, lassen auch heute junge Musiker in der deutschen Oper grinsen. (Ein Beispiel – was ist ein Kollege? Jemand der das gleiche Instrument spielt, nur ein wenig schlechter.) Man trägt, wie damals, einen Frack, und trinkt Molle und Korn nach einer guten (oder viel Molle und Korn nach einer schlechten) Vorstellung. Man spuckt sein "Toi toi toi" über die Schulter, der Dirigent heißt Kapellmeister, und die älteren Kollegen erzählen von ihren Lehrern die mit Menschen wie Mahler, Strauss oder Schönberg gespielt haben.
Das ist wahrscheinlich der Ort, an dem die Kollision zwischen meiner alten Realität und der jetzigen am stärksten zu spüren ist. An der neuen israelischen Oper, Da-Vinci Strasse, Tel Aviv. Ich möchte nicht arrogant vorkommen, für mich aber ist die Kombination "Oper" und "Israel" schwer zu verdauen. "Oper" ist Deutschland, ist ein Wald aus Bierflaschen nach einer langen Vorstellung von "der Fliegende Holländer", ist Lackschuhe und Rennen durch alte Gänge, in einer Hand die Bühnenmusiknoten von "Tannhäuser", in der anderen den Frackschwanz. "Israel" ist laute Menschen, ist Verkehrsdschungel, ist Hummus auf dem Strand von Tel Aviv, oder die in sich verschlingenden Strassen der Jerusalemer Altstadt. Was soll also eine "israelische Oper" sein? Wie geht so was? Habt Ihr mal versucht, Molle und Korn in 35 Grad zu trinken?
Wäre das eine Filmszene gewesen, würde man sie als "traurig-süß" beschreiben, als naiv. Ich meine mich – wie ich im Orchestergraben sitze und versuche, um mich die Realität zu schaffen die ich aus Nürnberg oder Berlin kenne. Ich klopfe leise auf meine Schenkel wenn ein Kollege schön spielt, ich schreibe "V.S." auf die Noten (bis heute weiß ich nicht, was das heißt) wenn man das Blatt schnell wenden muss, ich unterschreibe die letzte Seite dieser Noten, und möchte die Hand des Kollegen, der neben mir gespielt hat, feierlich schütteln bevor man den Graben verlässt. Dieser Kollege aber, in Israel, hat mich mit großen Augen angeschaut als ich ihm zum ersten Mal meine Hand ausgestreckt habe. "Wie jetzt, gehst Du schon?" hat er gefragt. Traurig-süß.
Und wenn ich in wenigen Wochen in der Meistersingerhalle in Nürnberg meine Fliege vor dem Spiegel zurecht rücken werde, um dann mein Horn zu nehmen und mit meinen guten Freunden die "Alpensinfonie" zu spielen, wird es sich ein wenig wie Heimkehren fühlen.
Ich drücke Euch alle,
Euer Ofer
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