Beachtung
(Eine Fortsetzung des letzten Eintrags)
Es ist merkwürdig – es gibt keine Pause zwischen Jerusalem und Ramallah. Das ist wahrscheinlich der Musiker in mir der das Wort "Pause" dafür verwendet, gemeint ist – zwischen den beiden Städten gibt es keine Lücke, beinah hätte ich gesagt – keine klare Trennung, die gibt es aber, obwohl man über die Wortwahl "klar" ja streiten könnte. Jerusalem streckt sich ja bis zum Check Point, die Palästinenser die auf der "anderen" Seite leben behaupten aber von sich, sie seien ja auch noch Jerusalemer, es ist halt so – und das ist keinesfalls nahöstlich – der Mund spricht eine Sprache, der Pass eine andere, die Mauer eine dritte.
Im fließenden Übergang wird Jerusalem zu Ramallah, gleiche Steinhäuser, gleiche nasse, rotdunkle Erde, nur die Werbeschilder sind auf einmal auf Arabisch. Ich war eigentlich nie in dieser Stadt, und jetzt, da es ja "Spannungen" gibt, verbietet es die Armee. Ich musste ein Formular ausfüllen, auf dem es stand – "es ist mir durchaus bewusst dass ich mich in ein Kampfgebiet begebe, dass ich Tod und Verletzungen riskiere, und dass ich, falls es brennslich wird, von keinem irgendwelche Rettungsmaßnahmen erwarten dürfte". Nett.
Ich merkte keine Spannungen, nur dass die Preise die neben den bunten Handybildern auf den Werbetafeln wesentlich niedriger sind als bei uns. Ihr merkt, ich versuche jegliche Klischees auszuweichen. Überhaupt, ich dachte, ich beende diesen Beitrag mit der Geschichte von Kalandia. Aber es kamen zwei Reaktionen, die mich zum Weiterschreiben bewegt haben. K. aus New York meinte, es sei schwierig, mit Palästina unpolitisch umzugehen. Das stimmt – ich habe versucht, die Bilder des Lebens die sich mir durch die Busfenster zeigten mithilfe meines politischen Wissens zu entziffern. Komischerweise gelang es mir nicht. Ich wollte mich wie ein Tourist, ich wollte mich wie im Ausland fühlen, es ging aber nicht. Es war kein Ausland. Es war sogar weniger Ausland als Bayern einem Berliner Ausland ist.
Die zweite Reaktion kam von M. aus Berlin. "Gruselig," so hörte sich das an, meine Beschreibung von Kalandia, "schwarz weiß und ein Bisschen nach Momo im Nahen Osten." Diese Reaktion machte mich ebenfalls sehr nachdenklich. Schwarz weiß wie im Film? Das wäre eigentlich nicht schlecht, da schwarz weiße Filme ja geeignet sind, die Kanten, die Konturen einer Realität deutlicher zu zeigen. Und wenn man in einer Realität lebt, deren Konturen durch das alltägliche Stumpfwerden auf Dauer zu verschwimmen drohen, ist so was manchmal vom Vorteil. Aber so sehr ich mich danach sehne, Momo im Nahen Osten zu sein, gelingt es mir nicht. (In einer Zwischenbemerkung muss ich gestehen – in Deutschland gelang es mir besser. Es ist aber eine andere Geschichte.)
Üblicherweise wurde uns Arafats Ruhestätte gezeigt, es hat geregnet und wir blieben im Bus, ich drückte meine Nase gegen die kalte Scheibe und schaute den Mammutsbau an, wo der Gründervater des modernen Palästina liegt. Davor streckt sich ein großer Platz, wo alle Flaggen der Staaten, die dem Staat Palästina ihre Anerkennung zusicherten, sich nass an ihren Stangen klatschten. Das schwarz-rot-goldene deutsche Morgengrauen fehlte, wie die amerikanische oder israelische Flagge. Was für eine Überraschung.
Wir verließen Ramallah, und fuhren durch idyllische Dörfer bis wir die riesige Baufläche der neu gegründeten Stadt Rawabi erreichten. Die Zeit war knapp, also wurden wir schnell in einen kleinen Saal geeilt, wo der Projektleiter uns eine ausführliche Darstellung der Bauarbeiten ablieferte. Er redete und redete, und ich konnte den Gedanken nicht vermeiden - so sahen sie aus, die Väter des Zionismus, als sie vor über hundert Jahren über die Gründung Tel Avivs sprachen, und so wie sie, werden wahrscheinlich aus nach diesem Mann irgendwann ein Platz oder eine Grundschule genannt.
Aber es fehlte mir etwas. Er sprach über Bauelemente, über die Lieferanten des Projekts, über Umweltschutz und Schulbau, über Grünanlagen und Beschäftigungsaussichten, über die nah liegende Bir-Seet Universität, über Strassen und Laternen und Solaranlagen und und und. Aber er verlor kein Wort über Israel. Über mich. Über seinen Nachbar, der ihm gegenüber saß und höflich Notizen machte. Er erwähnte kurz, die Siedlung die auf dem Berg nebenan liegt erschwere den Bau der Hauptstrasse zwischen Ramallah und der neuen Stadt Rawabi. Ich schaute aus dem Saalfenster. Die Kräne tanzten ihren Tanz, hoben und senkten Steine und Metallstangen. Und in der klaren Luft, im entfernten Horizont, konnte man die Hochhäuser Tel Avivs sehen.
Ich nehme an, hier gilt der Satz – so wie Du mir, so ich Dir. Es ist aber ein beschießenes, wenn auch wohlverdientes Gefühl, unbeachtet zu sein. Nicht anerkannt, wenn auch als den Bösen in der Geschichte.
Danach, im luxuriösen Mövenpick Hotel in Ramallah, trafen wir den eigentlichen Gründer von Rawabi. In der Luft hing eine dünne Marlboro Wolke, es wurde Kaffee serviert, und er – Bashar al Masri – hielt eine kurze Rede, in der er Israel doch immer wieder erwähnte, als Inspiration, nicht mehr und nicht weniger – und als Quelle von vielen der Produkten, die für den Bau notwendig sind. (Ironie des Schicksals, muss man sagen. Die Palästinensischen Bauarbeiter bauten über vierzig Jahre unsere Siedlungen. Jetzt bauen wir die palästinensische Antwort darauf.) Aber als Nachbar fehlte auch hier jede Erwähnung. So wie Du mir, so ich Dir.
Später, als wir in einer Bar in der Ramallah City zusammen saßen um dem Tag einen würdigen Abschluss zu geben, fragte ich den Organisator wo die Toiletten seien. "Eine Etage tiefer, aber tue mir den Gefallen, lass Dich nicht als Israeli erkennen. Naja, so wie Du aussiehst wird es kein Problem sein, " er klopfte auf meine Schulter, und rückte meine H&M Kordjacke zurecht, "aber sei achtsam."
Ich kletterte die Treppen herunter, und ging in einen schmalen Gang, über dem das internationale Frau-Mann Zeichen hing. Vor der Tür wartete ein Bursche und grinste mich an, ich schätzte ihn nicht älter als 22 Jahre. "You are not from here", sagte er fragend, und Ich spürte meinen Herzschlag im Hals, immer schneller. Angst? "No no", sagte ich und versuchte ebenfalls zu grinsen. "I come from Germany." "Germany?", seine Augen leuchteten, "Wonderful! I love Germany! I think you are great! I am Mahmmud. What is your name?". Ich musste nicht mal eine Denkpause anlegen, den Drill kenne ich schon, aus Konzerten in braunen Dörfern in Mecklenburg-Vorpommern, oder aus der Jerusalemer Altstadt zu Zeiten des zweiten palästinensischen Aufstandes, der Intifada.
"Stefan", grinste ich, und versuchte, wie ein Stefan auszusehen. "nice to meet you."
Ich bin im Bus eingeschlafen und merkte gar nichts vom Rückweg nach Jerusalem. Alle waren müde, und so gingen wir still auseinander, ich stieg in mein Auto, schimpfte auf meine nicht funktionierenden Scheibenwischer, und fuhr los, Richtung Tel Aviv, nachhause, zu Ori. Ich versuchte unbeachtet ins Bett zu klettern, Gili schlief ruhig weiter, aber Ori, die meine sensiblen Ohren bekommen hat, öffnete kurz die Augen. "Aba", murmelte sie, "Papa."
Seid alle liebst gegrüßt,
Euer Ofer
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