Montag, 25. Oktober 2010

Israelisches Tagebuch 38

Liebe Freunde,

ich beneide Euch. Vom tiefsten Herzen. "Wieder Ofer mit seinen tragischen Äußerungen", sagt Ihr. Aber nein, es geht hier nicht um Bier und Schnee, Wurst und TVK*. Es geht um viel mehr, es geht um Hoffnung, oder besser gesagt – um Hoffnungsträger.

Der heutige Beitrag fängt in einem kleinen Zimmer in Berlin-Kreuzberg an, vor ca. zehn Jahren. Kleines Öferchen, relativ frisch in Deutschland, saß bei seinem (inzwischen nicht mehr so) guten Freund T., und genoss ein wenig Alkohol und ein wenig andere Substanzen die dem Gesetz zwar fremd, dem berliner (oder eigentlich jedem) studentischen Dasein wohl vertraut sind. Es waren meine "jungfräulichen" Jahre in Deutschland, ich habe gerade angefangen Eure Sprache zu verstehen, und dieses Deutschland kennen zu lernen. Es hat sich damals auch ein Prozess der Desillusionierung in Gange gesetzt – wer meine Beiträge liest weiß, dass mein lieber Herr Papa mir so einiges über Europa und Deutschland erzählt hat, was ehr für die 30er passen würde (natürlich ohne die Bösen). Auf einmal sah ich mich mit der Realität konfrontiert, die Deutschen sind durchaus in der Lage, zu spät zu kommen, zu fluchen, mit offenem Mund zu kauen, und weitere solchen unvorstellbaren Scheußlichkeiten.

Zurück zu jener Kreuzberger Wohnung – während ich mich mit der damaligen Lebensabschnittsgefährtin (ich wollte dieses Wort immer schon schreiben) meines (wie gesagt, ebenfalls) damaligen guten Freundes unterhielt, öffnete sich die Tür, und eine Gestalt kam herein, die mich prompt zutiefst beeindruckt hat. Fades blondes Haar, rote Wangen, kleine, blaue wässrige Augen, eine Nase, die in der Regel mein Jahresgehalt kosten würde, und über allem, eine Art, lieber Gott, eine Art die allen im Zimmer sofort das verriet, was ich noch nicht mal ahnen konnte – dieser junge Mann wird mein Deutschlandbild retten, dieser junge Mann ist – tief atmen – ein Adliger.

WAS? Die gibt´s noch? Das muss wohl ein Scherz sein. Ich dachte aber…. Der Krieg…. Revolution…

Nein nein. Ich dachte falsch. Ich wollte es nicht glauben, also bat ich den jungen Herrn (meine Gesprächspartnerin musste mich davon abbringen, mich zu verbeugen) darum, mir seinen Personalausweis zu zeigen. Und da stand es (besser gesagt – da stand es nicht, da der Platz nicht ausreichend war) – ich kann mich heute nicht mehr an den ganzen wahren Namen erinnern, aber es war so was wie "Freiherr Baron Graf Prinz König Kaiser zu, von und über den Wolken". (es ist mir durchaus bewusst, ich zitiere hier Loriot. Mit höchster Achtung.)

Es sind viele Jahre seitdem vergangen, und ich habe mich inzwischen daran gewöhnt dass diese Relikte aus anderen Zeiten noch unter Euch leben, mit Namen so lang wie der Alexturm, adlig und schweigend, reich und, na ja, reich. Ich habe mich eine Zeit lang sogar mit dem Gedanken amüsiert, mich von so einem adoptieren zu lassen. Ich frage mich, ob es mir dann auch so erginge, wie jenem Freiherr Baron zu Guttenberg. Der lieber Freiherr bringt es ja auf den Punkt – einen geilen Namen muss man haben, kombiniert mit einem Schloss und einem Drachen in der Garage, und hopsala ist man ein Hoffnungsträger der gesamten Nation. "Ach, mon-chér", sagt von und zu zu seiner Gattin, die ebenfalls zu und von ist, "die letzten 90 Jahren waren ein Intermezzo, so wie beim letzten Konzert von Herrn Papa. Jetzt dürfen wir wohl wieder. Was denkst Du, soll ich Deiner Mutter zum Geburtstag Sachsen schenken?"

Wieso kann so was in Israel nicht funktionieren? Wieso kann ich, zum Beispiel, nicht "Ofer Frederik von der Galiläa, Herrscher über Israel, Bezwinger des Kamels" heißen? Damit würde ich es hier sicherlich zum Ministerpräsidenten bringen. Ach, Moment Mal – dafür müsste man hier aber auch die CSU einführen.

Vielleicht ein anderes Mal.

Bis dahin, seid mir alle lieb gegrüßt,

Euer

Ofer von und zum Orchestergraben



*Tarifvertrag der deutschen Kulturorchester

Dienstag, 19. Oktober 2010

Israelisches Tagebuch 37

Liebe Freunde,

ich schaffe es einfach nicht, einen durchgehenden, kohärenten Text zu verfassen. Meine Ideen überleben einen, zwei Sätze, um dann erschöpft sich auf den Punkt zu freuen. Aber ich kann doch nicht einfach einen Satz in die Welt schicken, dass käme einer Beleidigung gleich, was ich Euch aber um keinen Fall zumuten möchte.

Die andere Variante ist aber auch nicht allzu sonnig – nämlich das Schweigen. Ich bin Euch dankbar, dass Ihr Euch über meine langen Pausen nicht beschwert – es kann natürlich auch ein Zeichen dafür sein, dass Ihr wenig Interesse findet an dem, was ich schreibe. Diese Möglichkeit schließe ich natürlich kategorisch aus, und zwar – zugegeben – aus reiner Eitelkeit, jene Eitelkeit die jedem Hornisten bekannt ist, der davon ausgeht, die ganze Welt ist davon fasziniert dass er (oder sie) aus einem langen Rohr komische Töne produzieren kann. Na bravo.

Um dieses erwähnte Schweigen zu brechen, möchte ich Euch ein Paar solche Eindrücke des Alltags beschreiben, und zwar in kurzen Absätzen.

Schwangerschaftstraining

Gili hat es ernst gemeint – wir sollten hingehen, in das Tel Aviver Krankenhaus "Ichilow", um zu lernen wie das genau abläuft, also wie Kinder auf die Welt kommen. Ich erspare uns allen die Witze mit den Störchen, und doch kam ich mir vor wie auf einem National Geographic Set, als wir in das Trainingszimmer hineintraten. Laute Wale, und ich meine es lieb, der Naturschützer der ich bin, schwammen durch das Zimmer. Und genau wie bei National Geographic sind ihnen kleine Fische hinterher geschwommen, dünn und brüchig, vor allem aber bedingungslos ergeben. Ja Männer, wer meinen scharfsinnigen Humor nicht verstehen möchte, ich meine uns. Ihr kennt es alle aus Filmen, die Übungen mit dem Atmen, also erspare ich Euch die Einzelheiten. Die Lehrerin, eine nette Krankenschwester mit einem leichten russischen Akzent, fragte jedes Paar was sie erwarten. "Komisch", sagte sie, als es sich herausstellte dass die meisten im Zimmer ein kleines Mädchen erwarten (wir ja auch!), "heutzutage kommen mehr Jungs zur Welt."

Wie würdet Ihr als Deutsche auf diesen Satz reagieren? Wahrscheinlich würdet Ihr schon bei der Frage, was Ihr erwartet, stützen. Es ist ja in Deutschland unhöfflich so was zu fragen. Und überlegt Euch, wie ein Israeli auf diesen Satz reagieren würde? Ich zitiere das, was eine Mutter gesagt hat – und was wir alle dachten. "Na gut, wir brauchen ja Soldaten."

Mist, ich bekomme rote Augen.

Jahrestag

Es waren so viele Jahrestage in letzter Zeit, und ich habe sie alle unbeobachtet vorbeigehen lassen. Der 20 Wiedervereinigungstag (Gratuliere!) über den ich mich für Euch freue, und der erste Jahrestag meines Umzugs nach Deutschland. Ja liebe Freunde, es ist schon ein wenig mehr als ein Jahr her, seitdem ich nicht mehr allzu oft bei Euch weile (aber doch oft genug, muss man schon sagen). Einige meinen, ich sei versöhnlicher im Ton geworden, was meine Heimat angeht. Einige fragen, wann ich wieder komme. Erstaunlicherweise, kann ich dazu wenig sagen. Mein Blick ist jetzt fest auf die Geburt meiner Tochter gerichtet. Allein dieser Satz, "Die Geburt meiner Tochter", füllt meinen gesamten Horizont, und lässt wenig Platz übrig für Gedanken die mit "was wäre wenn…" anfangen. Der Bauch von Gili, so formuliere ich es, ist das Ausrufezeichen hinter dem Satz "wir leben in Israel!"


Begegnungen mit der Vergangenheit

Bei meinem vorletzten Deutschlandbesuch habe ich bei einer guten israelischen Freundin vorbei geschaut, die gerade eine Wohnung frischbezogen hat. Mit Stolz zeigte sie mir die saubere Küche, das große Wohnzimmer, und das Schlafzimmer, das einen komischen Winkel hatte. "Und hier", sagte sie, auf den Winkel zeigend, "könnte man sich ja einen Versteck einbauen, mit einem Doppelboden, so wie bei Anne Frank."

Ich gebe zu, der Gedanke war mir nicht fremd, so wie einigen anderen Israelis die in Deutschland wohnen. Es ist ein Instinkt, das Resultat jahrelanger Erziehung an israelischen Schulen, an denen man Geschichten über Geschichten hört, wie man sich in Deutschland verstecken musste. Es hat nichts damit zu tun, dass man denkt – es ist möglich, die Nazis kommen wieder. Meiner Meinung nach, ist Deutschland der letzte Ort an dem so was wieder passieren könnte. Und doch kann ich mich daran erinnern, als ich in meine Berliner Wohnung eingezogen bin und meine Nachbarn kennen gelernt habe, dass ich mich fragte – würden sie mich beschützen?

Und wenn wir schon mal beim Thema sind – meine Eltern habe mir ein Jahresabo für den "Spiegel" geschenkt. In der letzten Ausgabe stand ein Bericht über die neue Hitler-Ausstellung in Berlin. Ich zitiere: "Eine Kommode aus Hitlers Neuer Reichskanzlei wird schief aufgehängt, statt einfach auf den Boden gestellt; ein die "Volksgemeinschaft" im Krieg heroisierendes Ölgemälde wird schräg präsentiert."

Das wird es schon dem alten Nazi-Monster zeigen! Das nenne ich wahre Vergangenheitsbewältigung!

Sarrazin

Kennt Ihr den neuen Sarrazin Witz? Es gibt das jüdische Gen, auch wenn es sich manchmal versteckt. Es gibt aber auch einen versteckten deutschen Oberlippenbart.

Oh Gott, dieser Beitrag ist ja ganz schön düster geworden. Bitte entschuldigt mich – ich sitze den ganzen Tag und lese über Deutschland im Jahre 1945, was nicht gerade süße Gedanken hervorruft. Ich bemühe mich das nächste Mal!

Bis dahin, Alles Liebe,

Euer Ofer