Ein deutscher Moment (oder: Realitätsverlust im großen Stil)
Liebe Freunde,
ein guter Freund von mir der gerade aus Berlin zurückgekehrt ist hat heute früh bei uns vorbeigeschaut. Ich war nicht da, leider war ich gerade beschäftigt mithilfe meines Orchesters die vierte Mendelssohn gründlich zu vernichten, zum Glück aber war meine graziöse Gattin anwesend um ihn zu begrüßen und seinen Mitbringsel entgegenzunehmen. Was Schöneres hätte er aus meiner geliebten Stadt nicht bringen können. Nein, er hat keine Praline mitgebracht, auch kein Lübecker Marzipan (das wäre das Zweitbeste, übrigens). Nein nein, liebe Freunde. In der kleinen Plastiktüte die ich auf dem Flur entdeckt habe war sie, jungfräulich scheu und ängstlich, fremd wie ein Sarrazin auf dem Basar, eine wunderschöne Flasche "Augustinerbräu helles Bier". Oh Freude, oh Glück.
Ein solches Symbol der hohen deutschen Kultur kann man aber um Gottes Willen nicht einfach so in sich hineingießen. Das wäre ja barbarisch, fast wie die Weihnachtsganz (oder war das Ostern?) vor dem Fernseher zu verschlingen. Man muss die passende Atmosphäre schaffen, die richtige Ambiente (so wie die Neuberliner sagen), ansonsten würde man dem ganzen Akt ja was lächerliches, fast makaberes hinzufügen, und das Herz, statt sich zu freuen, würde nur an Schwere gewinnen.
Ich habe aber alles was man braucht, um die passende deutsche Realität um mich zu schaffen, der israelischen Umgebung ignorierend. Ich beschreibe Euch die nötigen Schritte die ich dafür unternommen habe. Als allererstes – Klimaanlage anmachen, und die Temperatur auf das Minimum (also 16 Grad) stellen. Diese Maßnahme (nicht zu verwechseln mit "Maasnahme", die kann es wahrlich nur in Bayern geben) dauert einige Minuten. In der Zwischenzeit muss man natürlich das einzige Bierglas, das während des Umzugs in das heilige Land nicht in tausend Stücken zerbrochen ist gründlich säubern. Als musikalische Begleitung sollte man kreativ sein, aber nicht zu plump – also nichts mit "Klappt die Hände zusammen und lasst uns fröhlich sein". Zu erhoben wäre an dieser Stelle auch falsch – also weg mit Beethovens sechsten. In meiner Sammlung bleibt dann die liebe Frau Dietrich, vielleicht mit "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre", oder doch die Comedian Harmonists mit "Mein kleiner grüner Kaktus".
Bei meinem letzten Besuch in Berlin, also vor ein Paar Wochen, habe ich auf dem Trödelmarkt so ein kleines Blechschild gekauft, das ich jetzt auf den Tisch stelle, auf dem eine DDR-Rennpappe zu sehen ist in Militärfarben, daneben einige NVA Soldaten, und darunter der Satz "Zum Schutz der Arbeiter-und-Bauern-Macht".
So. Jetzt hat das Zimmer die richtige Temperatur erreicht, und ich nehme aus dem tiefsten Winkel meines Kleiderschranks die Pullis, die ich in Israel niemals werde anziehen können, weil es hier niemals so kalt sein wird. Aber das Bild muss perfekt sein, also ziehe ich mir so eine H&M Kreation an, und nehme die kostbare Flasche aus dem Kühlschrank, und singe dabei fröhlich – "und wenn ein Bösewicht was Böses zu mir spricht, dann hol´ ich mir mein´ Kaktus und er sticht sticht sticht…"
Die nächsten Momente sind eigentlich zu intim, um sie schriftlich in alle Welt zu verbreiten. Selbst ich habe meine Hemmschwelle, und werde mit Verlaub den Moment des heiligen Zusammenkommens zwischen Mensch und Reinheitsgebot, zwischen flüssigem Glück und durstiger Seele nicht beschreiben.
Und jetzt sitze ich hier und versuche diesen Moment zu verlängern, in dem ich Euch diese Zeilen schreibe. Die Flasche steht leer neben dem Rechner, die goldene Farbe des Etiketts ist etwas verblasst, und große Tropfen die dem braunen Glas herunterrollen bezeugen von der nahöstlichen Luftfeuchtigkeit, derer Existenz meinem Fluchtversuch in eine andere Realität ein abruptes Ende setzt.
Im nächsten kulinarisch-philosophischen Eintag: Hummus in Berlin.
Bis dahin, seid alle lieb gegrüßt,
Euer Ofer
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