Ich sitze im Auto und warte auf Gili, mein Kopf nach hinten gelehnt, die Augen geschlossen. Draußen wird die Stadt von der Sonne gebacken und von der Feuchtigkeit, die vom Mittelmeer strömt, erstickt. Ich parke schräg auf dem Bürgersteig, um die Zeit an dem Ort gibt es keine Parkplätze, außerdem braucht Gili ja nur fünf Minuten um irgendwas zu holen bevor wir weiter fahren können, Richtung Jerusalem.
Es ist Freitagnachmittag, die Schabbat kommt und Israel wird ruhiger. Aus dem Radio kommt leise indische Musik, tiefe, monotone Flötenklänge, mit einer trauernden Frauenstimme, und ich denke an das Gespräch, das Gili und ich auf dem Weg hierher geführt haben.
Wir versuchen unseren Sommerurlaub zu planen, wir wollen (außer Deutschland, natürlich) auch Irland besuchen, Dublin und Belfast, und müssen die Zeit dafür freimachen. "Wann ist Spielzeitschluss bei Dir?" fragt Gili. "Wann ist Deine Schule zu Ende?" erwidere ich. "Wann ist das Finale der Fußballweltmeisterschaft?" fragt sie erneut, und ich sage – zehnter oder elfter Juli. Gili denkt kurz nach, schaut mich an, und sagt – "im Radio hat man gesagt, zwei Tage nach der Meisterschaft gibt es einen Krieg. Denkst Du, wenn wir in August fliegen, wird es schon wieder in Ordnung sein?"
Schlagt Eure Terminkalender auf, und merkt es Euch – zwei Tage nach der Fußballweltmeisterschaft, also am 13.7.2010, gibt es einen Krieg. Man übt schon fleißig, hier und bei den Nachbarn. Es ist halt immer so, der Nahe Osten gibt der Welt die Ruhe, um die Spiele genießen zu können, danach ist aber vorbei. Zwei Tage nachdem die Italiener ungerechterweise den Cup in Berlin hochgehalten haben, entführte die Hamas Gilad Schalit. Zwei Tage später entführte Hisballa drei Israelische Soldaten, eine Tat die den Anfang des (zweiten) Libanonkrieg markiert hat. In allen Zeitungen, im Fernsehen, im Radio, in langen Diskussionen in hohen Etagen der israelischen, syrischen, Libanesischen Regierungen, sagen Menschen mit Anzügen – Mitte Juli. Dann geht es los.
Und ich sitze im Auto, und schaue um mich herum. Menschen gehen durch die Strassen, springen von einem Schatten zum nächsten, telefonieren, tragen kleine Kinder, essen Falafel. Wen wird es in einem Monat treffen? Den da, mit der kurzen Hose und dem Hund an der Leine, vielleicht auf den Hügeln Libanons, oder am Stand von Gaza? Oder die ältere Dame mit dem Eis in der Hand und einem breiten weißen Strohhut gegen die Sonne, von einer Rakete oder Splitter auf dem Weg zum Supermarkt getroffen? Sie sind unter uns, die Menschen die im nächsten Krieg sterben werden, ahnungslos führen sie ihr Leben, in Tel Aviv und Beirut, in Gaza, Ramallah und Jerusalem. Sie lesen die gleichen Zeitungen, lesen dass ihre Politiker wissen dass es bald zum Krieg kommt, lesen die klugen Texte der Analysten, die viele Gründe nennen die einen Krieg unausweichlich machen, und tun nichts dagegen. Wenn sie doch wüssten, sie sind in einem Monat dran, würden sie doch schreien, sie würden demonstrieren, es ist doch unbegreiflich, Ihr da oben wisst dass unsere Zeit gezählt ist, macht aber trotzdem nichts dagegen? Wie kann so was nur möglich sein?
Gili steigt in das Auto, gibt mir einen kleinen Kuss auf die Wange, und wir fahren los. Heute Abend gibt es ein Abendessen bei meinen Eltern, morgen hat Gili Dreharbeiten und ich muss für die Uni lernen. Sonntag gehen wir auf die Strassen. Ganz sicher.
Küsse aus Tel Aviv,
Euer Ofer
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