Sonntag, 10. Januar 2010

Israelisches Tagebuch 19

"Kinder sind Freude", so sagt es Schlomo Bar, ein ehemalig berühmter israelischer Sänger mit einer starken Tendenz zur Spiritualität und zum, nun ja, Kinderkriegen.

(Gili schaute grade über meine Schulter und bat mich darum, nachdem ich ihr übersetzt habe was hier steht, Euch ausdrücklich zu sagen dass sie nicht schwanger ist. Noch nicht.)

Meine letzte Woche stand im Zeichen von Kindern. Sie sind hier in Israel keine seltene Erscheinung, im Gegensatz zu Deutschland, wo man sie nur im Zoo findet – im wahrsten Sinne des Wortes. Gott hat uns gesagt, mehret Euch, und die Regierung hat seinen Worten noch mehr Gewicht verliehen – Kinderkriegen kann in Israel zu einem lukrativen Geschäft werden, vor allem nach dem fünften Kind. Auch beim eigentlichen Kriegen, also Machen, also… Ihr wisst was ich meine, hilft die Regierung. Funktioniert es nicht auf die normale, klebrige und stöhnungsvolle Art, zahlt die Regierung jede Art von Therapie oder Hilfe, Hauptsache man vermehrt sich. Es ist nun mal so in Israel, man erzählt uns von den Geburtsmaschinen auf der anderen Seite, und dass es in einigen Jahren dazu kommen könnte dass es zwischen "Fluss und Meer" (Jordan und Mittelmeer) mehr Nichtjuden gibt als Juden. Oh nein! Also schnell ins Schlafzimmer!

Vor ein Paar Tagen habe ich einen guten Freund in die Klinik begleitet. Er und seine Frau haben sich entschlossen Kinder zu kriegen. Ihr denkt, der erste Schritt wäre in etwa Reizwäsche zu kaufen oder die Babypille gegen Viagra auszutauschen. Nein nein, nicht in Israel. Hier bekommt der Begriff "Auserwähltes Volk" eine sehr pragmatische Bedeutung. Bevor man sich die Hose runterzieht, muss man den Ärmel hochkrempeln – und Blut abgeben. Es ist nun mal so, dass die Juden während ihrer 2000 Jahre im Exil sich untereinander vermehrt haben sodass sie aus einem sehr begrenzten Genpool entstehen (gelegentlich angereichert von Kosaken und anderen die unsere Frauen vergewaltigt haben – Ihr denkt nicht ernsthaft, meine grauen Augen kommen in etwa vom biblischen Abraham, oder?) was zu schwierigen Erbkrankheiten führen kann. Man geht also in eine Klinik und macht einen Gentest – zum größten Teil vom Staat finanziert – um zu schauen, was in einem so steckt. Die Krankenschwester fragt woher der Mann und die Frau kommen – oder ihre Großeltern. Bei meinem Freund war es ein Volltreffer – beide kommen aus Aschkenasim-Familien, also aus Europa, und müssen auf 17 Krankheiten getestet werden. Er wartet noch auf die Ergebnisse. Wenn Gili und ich mal soweit sind, werde ich die Krankenschwester darum bitten, mich auf das "Hornspielen-Gen" zu testen, so was möchte man seinen Kindern doch nicht weitergeben.

Am gleichen Tag musste ich nach Jerusalem fahren, um eine meiner Vorlesungen zu besuchen. Es war spannend wie immer, und als ich den Raum verlies schreite und bebte mein Handy mit der frohen Nachricht, dass eine gute deutsche Freundin im Kreissaal ist, gleich bei mir ums Eck (auf dem Mount Scoupus, wo meine Uni liegt, gibt es auch ein Krankenhaus). Sie und ihr Mann arbeiten in Israel, und so kam es dass ich der erste war der sie dort besuchte. Ich kriege immer feuchte Augen bei so was, es ist ja so rührend, für mich zumindest. Ich glaube, für sie war es in dem Moment ehr schmerzvoll. Am nächsten Tag war es aber soweit – ein wunderschönes Mädchen kam auf die Welt. Ich wollte sie unbedingt sehen, also ging ich wieder ins Krankenhaus. Dort, in einem ruhigen Zimmer mit einem atemberaubenden Blick auf die Wüste und das Tote Meer saß meine Freundin, und schaute ihr Kind an. Rechts und links von ihr saßen und standen andere Mütter, religiöse jüdische Frauen mit bunten Kopftüchern, schweigende Palästinenserinnen mit glücklichen Augen, hier und dort konnte man das leise Weinen von Neugeborenen hören, und die netten Stimmen der Krankenschwestern. Zurück in ihrem Zimmer, erzählte mir meine Freundin über ihre Zimmernachbarin. Sie kommt aus einer nah liegenden Siedlung, ist 28 Jahre alt, und hat grad ihr achtes Kind bekommen. Sie kann Jiddisch, was fast wie Deutsch klingt, und so haben sie sich unterhalten. Irgendwann kam eine arabische Krankenschwester ins Zimmer, und meine Freundin sprach sie auf Arabisch an, eine Sprache die sie gut beherrscht. "Oh Gott", sagte ihre jüdische Nachbarin später, als die Krankenschwester das Zimmer verlies. "Du bist aus Deutschland, kannst aber auch Arabisch??!!" Ihr schwebte wahrscheinlich ein satanisches Mischmonster vor Augen, eine Art Nazi-Mohammad oder Hitler mit Palästinensertuch. Alle jüdische Urängste, vereint in einer Gestalt.

Wie bin ich von Kindern auf die verdammte Politik wieder gekommen? Entschuldigt mich bitte. Politik hin oder her, eins bleibt klar – Kinder sind Freude.

Liebste Grüße an Euch alle,

Ofer

p.s. Bitte schreibt mir wie es Euch geht, ich höre so wenig aus Deutschland zurzeit. Ich schreibe diesen Blog um Euch zu erzählen wie es mir hier geht, es sollte aber kein Monolog werden!

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