Freitag, 29. Januar 2010

Israelisches Tagebuch 21

Israelisches Tagebuch 21

Ich weiß, ich war lange verschwunden. Die Gründe dafür sind auch gar nicht schlecht – es ist Prüfungszeit an der Uni, und die erste Premiere des Jahres wollte auch gemeistert werden. Und so dass Ihr nicht denkt, ich lerne nichts an der Uni, würde ich gerne diesen Eintrag im Geiste eines Denkers schreiben, nämlich Foucault, eines der Väter des Postmodernismus. Es ist nämlich so, dass ich versucht habe jedem meiner Einträge den Anschein einer zusammenhängenden Erzählung zu geben, mit einer saftigen Pointe. Nun, und wie gesagt – im Geiste des Postmodernismus, kann ich Euch nur von einzelnen Momenten berichten die wenig miteinander zu tun haben, und dabei werde ich der Versuchung widerstehen, ihnen einen gemeinsamen Sinn zu geben. Also.

Ich habe grad den neuen Tarantino Film gesehen, "Inglorious Bastards". Ich bin kein Filmkritiker, trotzdem glaube ich nicht dass er in einer Reihe mit Filmen wie "Pulp Fiction" oder "Reservoir Dogs" stehen kann. Und doch hat es mich gefreut, ihn zu sehen. Es wird dort ja Deutsch gesprochen, mit der Creme-de-la-Creme der deutschen Filmindustrie wie Till Schweiger oder Daniel Brühl. Und obwohl es sich teilweise um Nazis handelte, war der Klang der Sprache wie Musik für meine Ohren.

Und wenn wir schon beim Thema sind – Nazis – Gestern war ja der 27.1, der 65 Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Ich habe der Rede die unser Präsident, Shimon Peres, vor dem Bundestag hielt zugehört, und habe mich gefragt wer von Euch diese Rede auch gehört hat. Ich fand sie schön, voller Hoffnung, und bewegend. Ich saß im Auto und hörte die Rede im Radio. Um den Stau zu umfahren, bin ich durch die Schnellstrasse 443 gefahren, quer durch die besetzten Gebiete. "Bakesch Schalom We-Radfehu" zitierte Peres aus einem der berühmtesten jüdischen Gebete. "Suche den Frieden und bringe ihn". Ich schaute beim Vorbeifahren die Einfahrtstrassen zu den Palästinensischen Dörfern, die entlang der 443 stehen, alle blockiert mit Betonklötzen, hinter denen gelangweilte, rauchende Palästinensische Taxifahrer auf nie kommende Fahrgäste warteten. "Suche den Frieden und bringe ihn" sagt Peres vor einem vollen Reichstag, und der israelische Radiosprecher sagte nach der Rede, Peres hat die deutschen mit harten Worten an die Taten ihre Großeltern erinnert. Als ob sie es vergaßen.

Vor drei Tagen war hier Ausnahmezustand – es waren teilweise 0 Grad. Im Norden hat es sogar geschneit. Aber keine Sorge, heute waren es die gewohnten 20 Grad, und ich spazierte mit einer Kommilitonin durch die Strassen von Tel Aviv. Wir haben eine Prüfung am Montag, es geht unter anderem um den erwähnten Foucault. Ich habe sie gefragt ob sie glaubt, Foucault sei der Meinung dass nichts eine Bedeutung hat. "Alles hat eine Bedeutung", erwiderte ein Offizier der neben uns auf die grüne Ampel wartete. Er hatte die hellen Uniformen der Luftwaffe an, und hat meine Kommilitonin, die nicht nur klug sonder auch hübsch ist, angegrinst. Na schön, der wird es schon wissen.

Was kann ich noch erzählen? Ich vermisse Deutschland, oder besser gesagt – ich vermisse mich in Deutschland, mit Euch, mit einer gewissen Ruhe die hier nicht zu finden ist. Bald komme ich aber, und freue mich schon, endlich gutes Bier mit anständig beschissenem Wetter und mit Euch zu genießen.

Seid alle lieb gegrüßt,

Euer Ofer

Israelisches Tagebuch 20

Gestern Nacht saß ich im Auto mit einer guten deutschen Freundin, eine Musikerin wie ich, auf dem Weg von Tel Aviv nach Jerusalem (ich weiß, ich wiederhole mich, in jedem Eintrag sitze ich im Auto zwischen Jerusalem und Tel Aviv. So ist es nun mal, langsam kenne ich die israelische Autobahn 1 besser als die angenehme Schokoladenartige Fläche der A9). Wir haben zusammen die Premiere der Oper "Träumendes Kind" gespielt, die aus der ultimativen jüdischen Mischung zusammengesetzt ist – Holocaust, Flüchtlinge, Mutter-Kind Konflikt, und ein Geiger, der umgebracht wird während er das Violinkonzert von Mendelssohn spielt. Oh weh.

Diese Freundin, wir nennen sie mal G., ist mein Spiegelbild. Sie kommt aus Berlin und hat dort lange gespielt bevor sie sich entschlossen hat, nach Israel umzuziehen. Ich habe sie gefragt, wieso sie es tat. Und sie hat mich gefragt, wieso ich nach Deutschland ging. Wir Juden sagen, änderst Du Den Ort, änderst Du das Glück. G. meinte, man kann sich an einem neuen Ort neu erfinden, sich neu definieren. Ich habe ihr erzählt, mir kam es anderes vor, als ich nach Berlin kam. Ich kann mich noch heute klar daran erinnern, mit welchen großen Augen ich durch die Strassen und Plätze gegangen bin. Oft saß ich in der U2 auf dem Weg in die Lindenoper, wo ich meinen Hornunterricht bekam, und habe die Werbeplakate gelesen. Noch heute spüre ich den Geschmack der mir damals unbekannten deutschen Worte in meinem Mund. Fern-Uni-Hagen. Bei-Stör-Fall-Bitte-Ruhig-Bleiben. Aus-Stellung-Des-Bundes-Der-Vertriebenen. Manchmal wünsche ich es mir, ich könnte wieder dem Klang der deutschen Sprache wie beim ersten Mal zuhören, ohne die Worte zu verstehen. Was ich aber sagen will ist dass ich mir in Deutschland nie fremd vorkam. Nicht für eine Sekunde. Dass habe ich meiner Freundin G. gesagt – ich musste mich dort nicht "neu" erfinden. Ich hatte das Gefühl, ich erlebe die Geschichten meiner Großeltern wieder. Ich gehe durch die Straßen, ich lesen Ihre Namen, die in meiner Familie eine Art Mythologie geworden sind. Letzterndes war meine Familie, wenn man auf die letzten Jahrhunderte schaut, in Europa zuhause, nicht im Nahen Osten.

Für G. war der Umzug nach Israel eine Erleichterung. Sie meinte, in Deutschland sei alles schon klar definiert, geregelt, gesetzt. Man läuft dort in klare Richtungen. Vielleicht übertreibt sie ein wenig, aber im Vergleich mit Israel hat sie wohl Recht. Hier gibt es noch viel was ungefähr ist, es gibt viele Bereiche des Lebens wofür es hier noch keine Gesetze gibt. Der größte Wunsch eines Musikers in Deutschland, dem ich auch nachging, ist eine feste Stelle zu bekommen, die mit finanzieller Sicherheit verbunden ist – genau die Sicherheit die man in Israel mit einer vergleichbaren Stelle nie hat. Ich sitze ja in einem Opernorchester, was nicht schlechter ist als das durchschnittliche deutsche A-Orchester. Und trotzdem muss ich mich langsam fragen, wie ich meine Miete zahlen soll wenn Kinder noch dazu kommen. (Und wieder kommt die Bitte von Gili – ich soll sagen, dass sie nicht schwanger ist. Noch nicht.)

Leider muss ich jetzt Schluss machen – mein Kurs geht gleich los. Ich drücke Euch alle ganz fest,

Euer Ofer

Sonntag, 10. Januar 2010

Israelisches Tagebuch 19

"Kinder sind Freude", so sagt es Schlomo Bar, ein ehemalig berühmter israelischer Sänger mit einer starken Tendenz zur Spiritualität und zum, nun ja, Kinderkriegen.

(Gili schaute grade über meine Schulter und bat mich darum, nachdem ich ihr übersetzt habe was hier steht, Euch ausdrücklich zu sagen dass sie nicht schwanger ist. Noch nicht.)

Meine letzte Woche stand im Zeichen von Kindern. Sie sind hier in Israel keine seltene Erscheinung, im Gegensatz zu Deutschland, wo man sie nur im Zoo findet – im wahrsten Sinne des Wortes. Gott hat uns gesagt, mehret Euch, und die Regierung hat seinen Worten noch mehr Gewicht verliehen – Kinderkriegen kann in Israel zu einem lukrativen Geschäft werden, vor allem nach dem fünften Kind. Auch beim eigentlichen Kriegen, also Machen, also… Ihr wisst was ich meine, hilft die Regierung. Funktioniert es nicht auf die normale, klebrige und stöhnungsvolle Art, zahlt die Regierung jede Art von Therapie oder Hilfe, Hauptsache man vermehrt sich. Es ist nun mal so in Israel, man erzählt uns von den Geburtsmaschinen auf der anderen Seite, und dass es in einigen Jahren dazu kommen könnte dass es zwischen "Fluss und Meer" (Jordan und Mittelmeer) mehr Nichtjuden gibt als Juden. Oh nein! Also schnell ins Schlafzimmer!

Vor ein Paar Tagen habe ich einen guten Freund in die Klinik begleitet. Er und seine Frau haben sich entschlossen Kinder zu kriegen. Ihr denkt, der erste Schritt wäre in etwa Reizwäsche zu kaufen oder die Babypille gegen Viagra auszutauschen. Nein nein, nicht in Israel. Hier bekommt der Begriff "Auserwähltes Volk" eine sehr pragmatische Bedeutung. Bevor man sich die Hose runterzieht, muss man den Ärmel hochkrempeln – und Blut abgeben. Es ist nun mal so, dass die Juden während ihrer 2000 Jahre im Exil sich untereinander vermehrt haben sodass sie aus einem sehr begrenzten Genpool entstehen (gelegentlich angereichert von Kosaken und anderen die unsere Frauen vergewaltigt haben – Ihr denkt nicht ernsthaft, meine grauen Augen kommen in etwa vom biblischen Abraham, oder?) was zu schwierigen Erbkrankheiten führen kann. Man geht also in eine Klinik und macht einen Gentest – zum größten Teil vom Staat finanziert – um zu schauen, was in einem so steckt. Die Krankenschwester fragt woher der Mann und die Frau kommen – oder ihre Großeltern. Bei meinem Freund war es ein Volltreffer – beide kommen aus Aschkenasim-Familien, also aus Europa, und müssen auf 17 Krankheiten getestet werden. Er wartet noch auf die Ergebnisse. Wenn Gili und ich mal soweit sind, werde ich die Krankenschwester darum bitten, mich auf das "Hornspielen-Gen" zu testen, so was möchte man seinen Kindern doch nicht weitergeben.

Am gleichen Tag musste ich nach Jerusalem fahren, um eine meiner Vorlesungen zu besuchen. Es war spannend wie immer, und als ich den Raum verlies schreite und bebte mein Handy mit der frohen Nachricht, dass eine gute deutsche Freundin im Kreissaal ist, gleich bei mir ums Eck (auf dem Mount Scoupus, wo meine Uni liegt, gibt es auch ein Krankenhaus). Sie und ihr Mann arbeiten in Israel, und so kam es dass ich der erste war der sie dort besuchte. Ich kriege immer feuchte Augen bei so was, es ist ja so rührend, für mich zumindest. Ich glaube, für sie war es in dem Moment ehr schmerzvoll. Am nächsten Tag war es aber soweit – ein wunderschönes Mädchen kam auf die Welt. Ich wollte sie unbedingt sehen, also ging ich wieder ins Krankenhaus. Dort, in einem ruhigen Zimmer mit einem atemberaubenden Blick auf die Wüste und das Tote Meer saß meine Freundin, und schaute ihr Kind an. Rechts und links von ihr saßen und standen andere Mütter, religiöse jüdische Frauen mit bunten Kopftüchern, schweigende Palästinenserinnen mit glücklichen Augen, hier und dort konnte man das leise Weinen von Neugeborenen hören, und die netten Stimmen der Krankenschwestern. Zurück in ihrem Zimmer, erzählte mir meine Freundin über ihre Zimmernachbarin. Sie kommt aus einer nah liegenden Siedlung, ist 28 Jahre alt, und hat grad ihr achtes Kind bekommen. Sie kann Jiddisch, was fast wie Deutsch klingt, und so haben sie sich unterhalten. Irgendwann kam eine arabische Krankenschwester ins Zimmer, und meine Freundin sprach sie auf Arabisch an, eine Sprache die sie gut beherrscht. "Oh Gott", sagte ihre jüdische Nachbarin später, als die Krankenschwester das Zimmer verlies. "Du bist aus Deutschland, kannst aber auch Arabisch??!!" Ihr schwebte wahrscheinlich ein satanisches Mischmonster vor Augen, eine Art Nazi-Mohammad oder Hitler mit Palästinensertuch. Alle jüdische Urängste, vereint in einer Gestalt.

Wie bin ich von Kindern auf die verdammte Politik wieder gekommen? Entschuldigt mich bitte. Politik hin oder her, eins bleibt klar – Kinder sind Freude.

Liebste Grüße an Euch alle,

Ofer

p.s. Bitte schreibt mir wie es Euch geht, ich höre so wenig aus Deutschland zurzeit. Ich schreibe diesen Blog um Euch zu erzählen wie es mir hier geht, es sollte aber kein Monolog werden!