Der Abstand zwischen meinen Einträgen wird immer größer, ich frage mich wieso, es ist ja nicht so dass ich nichts zu tun habe. Ganz im Gegenteil. Das Orchester nimmt (zu)viel von meiner Zeit, eigentlich komme ich grad von einem Konzert. Die Universität füllt die Lücken zwischen den Proben und Konzerten – ich muss Artikel über Artikel lesen, ich lerne ja über Euch, über Deutschland. Ich finde es übrigens amüsant einen ewiglangen Artikel über den Unterschied zwischen Ost und Westdeutschland zu lesen, ich denke manchmal im Unterricht – man muss nur einen Abend in einer Kneipe in Köpenick verbringen und am nächsten Tag nach Nürnberg fahren, und im Café Wanderer ein feines fränkisches Bier trinken und sich dabei mit der Kundschaft unterhalten, dann hat man den Unterschied vollkommen kapiert.
Und doch gibt es Momente, die ich gern mit Euch teilen würde. Den letzten Samstag, zum Beispiel.
Gili und ich haben das Wochenende in Jerusalem verbracht. Ich bin zwar oft in Jerusalem, meine Uni ist ja dort, und trotzdem erst dann wenn ich bei meinen Eltern bin, in der Wohnung wo ich aufgewachsen bin, habe ich das Gefühl – ich bin an dem Ort, den ich vor 10 Jahren verlassen habe. Es ist nicht unbedingt einfach, einen neuen Platz zu finden oder sich zu schaffen, meine Familie hat sich ja daran gewöhnt dass ich weit weg bin. Mein Zimmer ist zwar unverändert geblieben aber ich merke die Jahre, die vergangen sind, in der kurzen Zögerung meiner Neffen und Nichten bevor sie mich umarmen, ich bin ja "Der Onkel aus Berlin mit der leckeren Schokolade und mit der komischen Sprache", der weg war als sie noch nicht auf der Welt waren. Ich glaube, sie haben auch an dem ersten Wochenende nach meiner Ankunft in Israel gespürt, dass ich ein wenig traurig bin.
Ich wollte Euch eigentlich über einen Spaziergang erzählen, den ich mit Gili gemacht habe. In Jerusalem ist es wesentlich kälter als in Tel Aviv, es liegt ja fast 900 Meter über dem Meeresspiegel (ich weiß, kälter ist relativ…). Als am Samstagnachmittag die Sonne kurz rauskam, sind Gili und ich in das Kreuzigungstal gegangen, ein wunderschöner Ort gleich in der Nähe meiner Elternwohnung. Ich bin als Kind immer sehr gerne hierher gekommen – mitten in Jerusalem, unter dem israelischen Parlament und dem israelischen Museum (wo die ältesten Kopien der Bibel liegen, also die hebräische Version, ohne Eure Fortsetzung…) liegt dieses Tal, gepflastert mit Pinien und Ölbäumen, immer ruhig und immer grün. An seinem tiefsten Punkt liegt das Kreuzigungskloster, mit einer Kapelle die 1500 Jahre alt ist. Nach der christlichen Tradition ist hier der Baum gewachsen, von dem man das Kreuz von Jesus geschnitzt hat. Das Kloster sieht aus wie ein riesiges, massives Stück Stein, und eine Urigkeit weht über den ganzen Ort. Hinter den hohen Mauern leben einige Mönche der Griechisch-orthodoxen Kirche, die entweder Griechen oder Palästinenser sind. Sie sind sehr nett, reden nur gebrochenes Englisch oder Hebräisch, und zeigen einem die Kirche gern (na ja, man muss ein wenig zahlen), die auch an den heißesten Tagen des Jahres kühl bleibt. Ich bin gerne an solchen Orten, Gili ein bisschen weniger – ihr sind diese Urigkeit, diese Heiligkeit und Schwere die man in Jerusalem überall spürt irgendwie unheimlich. Sie zieht Tel Aviv vor, und wird erst dann entspannt, wenn wir im Auto die Jerusalemer Berge hinter uns bringen und die westliche, leuchtende Skyline Tel Avivs vor uns sehen.
Aber Tel Aviv ist ja eine andere Geschichte, und ich muss jetzt schlafen – morgen warten Bruckners vierte Sinfonie und eine Vorlesung über soziales Denken in Deutschland und Frankreich auf mich.
Gute Nacht aus Tel Aviv,
Euer Ofer
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