Samstag, 21. Mai 2011

Israelisches Tagebuch 48

Ich liebe diesen Moment, kurz vor dem Auftritt, wenn man nur mit Socken auf dem kalten Fußboden steht, es hat ja was rebellisches, mit Frack und Fliege aber ohne Schuhe herumzulaufen. In Nürnberg war es ein grau-schwarzer Teppich, an der israelischen Oper ist es ein hässlicher Plastikfußboden, und in der israelischen Philharmonie – wo ich zur Zeit spiele – ist es ein angenehmer Steinfußboden, der die Zehen schön kühlt und auf den die doch angezogenen Lackschuhe so herrliche "Klak-Klak" Geräusche machen.

Ja ja, ich bin der Kulturmensch der Woche, seit Montag spiele ich abwechselnd die Zauberflöte und die Alpensinfonie von Strauss. Ich erinnere mich an meine Tage als Praktikant an der Deutschen Oper Berlin wo ich mit B. fröhlich zusammen gesungen habe "sie ist würzig, und wird eingesalzt" (zweiter Akt, original – sie ist würdig, und wird eingeweiht. Musikerhumor.) Meinen Kollegen geht es schon langsam auf die Nerven dass ich bei dieser Oper immer mitsinge, es ist auch, zugegeben, eine nervige Gewohnheit, aber ich freue mich endlich mal eine Oper auf Deutsch bei uns zu erleben. Und da einige der Sänger mit der wunderbaren Aussprache eines Türstehers an der Reeperbahn singen, sehe ich mich geradezu gezwungen, zum Schutz der deutschen Sprache mich zu erheben. Dazu muss man aber sagen – bei den meisten Sängern merkt man die Massenwanderung von israelischen Musikern nach Deutschland – sie singen nahezu akzentfrei.

Es gab aber Wichtigeres an dieser Woche.

Sonntagfrüh bin ich in die Uni gefahren, es gab die Abschlußvorlesung über Christa Wolf und ihr Buch "Was Bleibt", und ich musste ein Referat halten über den Literaturstreit Anfang der 90er in Deutschland. Schon am Morgen gab es ein ungutes Gefühl in der Luft, es war ja "Jaum Al-Nakba", Tag der Katastrophe für die Araber, so bezeichnen sie den Tag der Gründung Israels. Verständlich, muss man sagen, da der Krieg der 1948 tobte 750,000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben hat. Ich schreibe – der Krieg hat vertrieben. Was heißt das aber? Ich habe irgendwo gelesen – man muss manchmal akzeptieren, dass es in gewissen historischen Momenten eine Hierarchie von Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden herzustellen gilt. War der 48´ Krieg so ein Moment? Die Israelis sagen – die Araber haben den Krieg erklärt und verloren, wir haben keinen bewusst vertrieben, nun ist es aber so und darf nicht mehr angerührt werden. Die Araber sagen – es gab eine Vertreibung, Bilder, die man sonst aus Europa kennt, von langen Flüchtlingskolonnen, mit Hab und Gut und Angst in den Augen. Wer hat Recht? Was ist hier die Wahrheit? Dieser Blog ist nicht der geeignete Ort um diese Diskussion aufzurollen. Ich kann nur sagen – ich habe Verständnis für das Leid der Palästinenser, für ihre Wut, ja manchmal auch für ihre Taten. Ich habe aber auch Verständnis für die Angst der Israelis.

Verständnis? Ich spüre diese Angst manchmal.

"Macht Widerstand kreativ?" fragt Marcel Reich-Ranicki aus dem Mund meiner Professorin. Eine scharfe Zunge hat der Typ, muss man sagen, manchmal vielleicht sogar zu scharf. Wir lesen aus der Wolfschen Erzählung – "Ich soll es gewusst haben?...."

Klak-klak. Oh nein, ich trage keine Lackschuhe in der Uni. Wir alle drehen uns zum Fenster, pressen uns an das kalte Glas, die Quelle der Schießgeräusche suchend. Die Uni liegt auf einem Berg, und unter uns streckt sich das palästinensische Städtchen Isawije. Ein schwarzer Rauchschleier dehnt sich über die Häuser, gebrochen durch kleine, Zuckerwolleähnliche, weiße Tränengaswolken. Und durch diese Schwarz-weiße Decke sehen wir die Hauptstrasse, an einer Seite die Demonstranten, an der anderen unsere Armee. Die Ersteren, die meisten von ihnen jung, zu jung, den Geruch der sich verwirklichenden palästinensischen Unabhängigkeit zusammen mit dem Gas riechend, sind gefangen in einer surrealistischen Mutprobe einander gegenüber und laufen mit Steinen gegen die Panzerwagen der Soldaten, die, kaum älter als ihre Steinwerfenden Kontrahenten, zusammenrücken, verängstigt ausschauend, und schießen eine Gasgranate nach der anderen in die Menge.

"Wenn Widerstand kreativ macht, dann haben wir dort sicherlich einen Haufen Schriftsteller da untern, " sagt ein Kommilitone von mir, ich schaue zu ihm rüber, und begreife – es sind die Geburtswehen des palästinensischen Staates da unter uns.

Mehr dazu im nächsten Eintrag,

eine schöne Woche Euch allen,

Euer Ofer

p.s. es kamen zwei Fragen wegen des letzten Eintrags – Wieso ich immer eine Bombe in meinen Einträgen habe und ob ich keine Zutaten vergessen habe.

Also, auch als ich in Berlin gewohnt habe, habe ich nach jedem dumpfen Schlaggeräusch von Außen auf die Sirenen gewartet. Es ist ein Instinkt, der nicht so schnell sterben wird. Auf die zweite Frage – wenn Ihr wollt, Radieschen können noch dazu passen. Radieschen.

Donnerstag, 5. Mai 2011

Israelisches Tagebuch 47

Ofer, willst Du nicht einen Fatusch zubereiten?

Ich liebe meine Frau, das muss ich schon sagen, vor allem liebe ich diese Fragen, deren nie mit Worten ausgesprochenen Antworten die kleinen Bauelemente der Liebe sind. Es ist ja klar dass ich den Fatusch zubereite, Gili kann ihn ja gar nicht zubereiten, als ich ihr das eine Mal versucht habe diese Kunst beizubringen, ist sie lachend aus der Küche geflohen. "Man braucht Geheimnisse in der Ehe!" rief sie noch aus dem Flur, und ihr lachend vermischte sich mit Ori´s aufgeschrecktem Schrei, der nach einem kurzen, sich ausprobierenden Weinen (da ist sie nicht so sehr geübt) in entzücktes Kichern überging.

Familienglück, Tel Aviv, 2011.

Ich übe mich in Ordentlich sein aus, vielleicht ein Relikt aus deutschen Zeiten, und lege die Zutaten für den Fatusch auf die Arbeitsfläche in der Küche. Gurken Tomaten Zwiebel Paprika Pitabrot Saatar Feta-Käse Salz Pfeffer und Olivenöl. Ich kann es versuchen, Mengen zu nennen – es käme mir komisch vor, Zahlen und Gewichteinheiten neben dem Namen Fatusch zu sehen, es wäre wie eine Übersetzung – eine "Essübersetzung", vielleicht – so wie ich einmal eine ganze Woche gebraucht habe bis ich verstand, "Kusbara" heiße bei Euch "Koriander". Oder wie die Unmöglichkeit, die genaue Zuckerpudermenge zu nennen die man auf Kaiserschmarrn streuen sollte. Nach Gefühl, halt.

Ein dumpfer Schlag ertönt aus der Ferne, Gili und ich werden kurz still, nur Ori kichert fröhlich weiter. Eins. Zwei. Drei. Wir zählten die Sekunden. Vier, Fünf, Sechs. Der fast schon sommerliche Himmel wird geschnitten durch Vögelgeschrei, ich schaue durch das Fenster, meine Augen suchen kein bestimmtes Zielobjekt, es sind meine Ohren die was suchen. Sieben, acht, neun. Ich stütze mich auf meine Hände, spüre die kalte Steinfläche auf der das Gemüse liegt, der Käse, das Brot. Zehn. Ich atme auf. Wenn es eine Bombe gewesen wäre, würden nach zehn Sekunden die ersten Polizei- und Krankenwagensirenen ertönen, hysterisch, eine weckt die andere zum Schreckenkonzert.

Ordnung muss sein, also erst das Pitabrot zerfetzen, in Stücke so klein wie… naja, wie Kaiserschmarrnstücke. Köche der Welt, vereinigt Euch! Man nimmt eine Schale, tut die Pitastücke rein, streut Salz darauf, ein wenig Pfeffer, Saatar, und Olivenöl.

(Saatar? Was zum T….? Ein Lachen rollt aus Nürnberg, wo ich mal versucht habe, einem gewissen Baron die richtige Aussprache von Saatar beizubringen. Vergeblich, allerdings. Der Gute ist fast daran erstickt. Der deutsche Name dieses Gewürzes ist übrigens Oregano, oder Origanum syriacum, für die die lieber auf Latein kochen)

Nach einer kurzen Weile, wenn die Brotstücke das Öl ein wenig aufgesaugt haben (nicht zu viel öl nehmen! Es kommt ja noch welches in den Fatusch!), schmeißt man sie in eine Pfanne, und frittiert sie kurz bis sie knackig werden (aber nicht braun oder schwarz! Sie müssen die Zähne nur leicht überraschen nebst den Tomaten und Käsestücken).

Gili steckt ihren lockigen Kopf durch die Küchentür, auf ihrem Arm Ori, beide grinsen fröhlich – bei Gili liegt es an ihren Geruchssinn der ihr den sich langsam verwirklichenden Fatusch verriet, bei Ori handelt es sich wahrscheinlich um das allgemeine Glück, Gili und mich als Eltern zu haben. Klar doch.

Das Gemüse schneidet man grob, das heißt, grob im Vergleich zum normalen arabischen Salat. Zum Beispiel, die Gurken. Hier muss aber eins festgemacht werden – es handelt sich nicht um die monströsen, fast schon perversen, nach Wasser schmeckenden, a-la-Fokushima deutschen Gurken, sondern um ihre kleinen Verwandten, also normale Gurken, die als Vorspielobjekt untauglich, für den Fatusch aber perfekt sind. Gurken, halt. Man schneidet sie in vier längliche Streifen, die man dann in grobe, also so um die 4 cm Stücke weiterschneidet. Die gleiche Größe gilt für all die Zutaten – die Würfel müssen so groß wie eine halbe Streichhölzerschachtel sein.

Angenommen, Ihr nehmt normales Gemüse (und nicht die oben erwähnte genetische Blasphemie der Natur) – braucht Ihr drei Gurken, zwei Tomaten, zwei Paprikas (die in den deutschen Supermärkten in der Regel aus Israel stammen), ein drittel Zwiebel (ich liebe die roten, aber ich liebe ja immer die Roten), und 150 gr. Feta (den Käse schneidet man in kleinere Stücke, nach Gefühl).

Es ist fast vollbracht, ich gehe ins Wohnzimmer um Gili die fröhlichen Nachrichten mitzuteilen, merke aber, Ori ist eingeschlafen, glücklich sein macht ja müde. Gili zeigt mit dem Finger auf den Lippen, Papageno schweige still, und ich gehe auf Zehespitzen zurück in die Küche. Die Pitastückchen haben sich inzwischen abgekühlt, ich schmeiße alles zusammen in eine große Schale, tue noch ein wenig Salz und Olivenöl rein, mische alles gründlich zusammen, und – Hurra! – Der Fatusch ist fertig.

Mahlzeit!

Euer Ofer

p.s. ich gebe es zu, kürzlich in einem ziemlich edlen Restaurant in Tel Aviv Fatusch mit Baguettestückchen statt Pitabrot bekommen zu haben, also müsst Ihr nicht nach x-Berg, Gostenhof, oder Dortmund reisen um einen Arabischen Supermarkt aufzuspüren.