Sonntag, 28. März 2010

Israelisches Tagebuch 23

Das Pesach-Fest kommt, und gleich danach Ostern. Es ist die Zeit wo man beisammen sitzt, und seine Familie und Freunde genießt. Ich wollte Euch allen das allerbeste Wünschen, den Juden unter Euch eine angenehme Befreiung aus ägyptischer Gefangenschaft, den Christen eine fröhliche Auferstehung, und dem Rest – Mahlzeit.

Es war eigentlich ein guter israelischer Freund der fließend Deutsch kann der mich fragte, wieso ich seit längerer Zeit keine neuen Beiträge mehr schreibe. Natürlich habe ich erstmal die alten Ausreden zusammengesammelt – die Uni nimmt viel Zeit in Anspruch, an der Oper haben wir zur Zeit fast jeden Abend eine Vorstellung, und der Prozess, mich in Israel einzuleben, ist noch im vollen Gange was auch seine Zeit und Kraft beansprucht.

Es gibt aber auch andere Gründe. An sich gibt es ja immer ein wenig Zeit um ein Paar Worte zu schreiben. Ich sitze ja eh jeden Tag Stunden lang vor dem Computer, es sollte also kein größeres Problem sein, einige Sätze nach Deutschland zu schicken, zumindest als Lebenszeichen. Vor einigen Tagen habe ich was geschrieben, habe mich aber nicht getraut es zu schicken. Zu schwer, zu traurig waren die Worte. Trotzdem finde ich es wichtig, auch die Schattenseiten meiner alt-neuen Heimat zu zeigen. Ich füge diesen Beitrag hier ein.


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Es ist spät, Tel Aviv ist ungewöhnlich still, Gili schläft schon, und ich vermisse es, Euch ein Paar Worte zu schreiben. Die Luft ist trocken, wie gebacken. Heute waren es über 30 Grad, und eine Wolke aus Staub hat die Stadt bedeckt. Die Luft lies sich schwer einatmen, man konnte den Staub in dem Mund spüren, alles war gelb-grau, und heiß. Passt irgendwie zu dieser Zeit. Ach Freunde, es ist nicht einfach zurzeit ein Israeli zu sein. An die Idee, dass man auf einem Schießpulverfass sitzt hat man sich ja schon gewöhnt. Es sind diese Pyromanen die jetzt durch mein Land laufen die mir Angst machen. Ich weiß nicht wie oft Ihr über Israel was hört in letzter Zeit, hier ist aber die Hölle los.

Vor einigen Tagen saß ich in einem Großraum Taxi von Jerusalem nach Tel Aviv. Ich hatte gerade eine Vorlesung besucht über Menschenrechte in der deutschen und in der europäischen Justiz, vorgetragen von einem Dozenten aus München. Er erzählte uns von einem "natürlichen Gesetz", aus dem die heutigen Menschenrechte in der EU sich ergeben. Es geht um Gleichheit, um das Recht auf Leben. Neben mir in dem Taxt sitzt ein älterer Araber, Palästinenser mit einem israelischen Pass (ein so genannter "arabischer Israeli"), der ein wenig Hebräisch konnte. Er bat mich um Wasser, und als er austrank, fing er an zu reden. Er redete ununterbrochen vom zentralen Busbahnhof in Jerusalem bis zu der Kreuzung, kurz vor Tel Aviv, wo er ausstieg. "Inta Ibn Ibrahim, wa ana Iben Ibrahim" hat er gesagt. Du bist der Sohn Abrahams und ich bin der Sohn Abrahams. "Wir sind Brüder", so hat er gesagt. "Wenn Brüder sich streiten, ist ihr Streit heftiger, als ein Streit zwischen zwei Fremden. Man hat vergessen, den geraden Weg zu nehmen. Wer ihn nimmt, bekommt die Gnade Gottes zu spüren. So steht es im ersten Kapitel des heiligen Korans. Wenn wir also alle, Israelis wie Araber den geraden Weg nehmen würden, werden wir die Gnade Gottes spüren". Er hält seine linke Hand offen, und lässt die rechte darauf gleiten, wobei seine harte Arbeiterhaut einen Klang wie vom Sandpapier macht. "Den geraden Weg."

Als ich mich von ihm verabschiedete, mit dem traditionalen "Maa Salaam" (Arabisch - Frieden sei mit Dir) habe ich mir die letzte Woche vor die Augen laufen lassen. Die ganze Woche hat Jerusalem gebrannt – eine Gruppe von jüdischen Siedlern hat mit einer Gerichtsentscheidung in der Hand einige palästinensische Familien aus ihren Häusern getrieben, im östlichen (also, arabischen) Teil Jerusalems. Daraufhin gab es heftige Proteste von arabischen Jugendlichen, und von sämtlichen Friedensbewegungen aus Israel und dem Ausland. Am Samstag gab es eine Demonstration in der Nähe dieser Häuser. Ich war da – es kam mir wie eine Pflicht vor – und sah die Roten Fahnen, daneben die israelischen Fahnen, die palästinensischen, die der deutschen "Antifa", und viele anderen. Die Redner redeten vom "Kampf", von der "faschistischen" Polizei, von der blinden Regierung. Auf einem Hügel über dem Platz wo die Demo stattfand, stand eine Gruppe jünger Orthodoxen, und hat uns die üblichsten Beleidigungen entgegen geschleudert. Vor allem ein Wort, "Verräter", kommt mir nicht mehr aus dem Kopf.

Einige Tage später, als der amerikanische Vizepräsident Joe Biden zu Besuch war um dem Friedensprozess einen Schubs zu geben, erklärte die israelische Regierung dass sie es beabsichtigt 1600 Wohnungen zu bauen, und zwar auf einem Gebiet, das laut dem internationalen Gesetz außerhalb von dem israelischen Gebiet liegt. Also bei den Palästinensern. Diese Entscheidung löste eine Welle der Empörung aus, und seitdem beschimpft uns die ganze Welt.

Israeli zu sein fühlt sich zurzeit an wie das Wetter von Tel Aviv. Heiß, staubig, ohne Sicht und ohne Luft. Es sind traurige Tage, meine Freunde. Man hört die Stimmen aus Washington, man hört was Obama sagt, weiß dass es das richtige ist, und doch weiß man gleichzeitig dass das Land, in dem ich wohne, von Irrsinnigen geführt wird, denen ein Stück Land und ein Haufen Steine wichtiger sind als Menschenleben. Auch die Linkenbewegungen, sobald sie vom "Kampf" und "Krieg" reden, werden mir unheimlich. Irgendwie haben alle Menschen in dieser Region eine unaufhaltsame Lust aufs Kämpfen.

Ich weiß noch wie ich in Berlin und Nürnberg arabische Freunde hatte, mit denen ich gerne lange Stunden verbracht habe. Auf dem Nürnberger Hauptmarkt zum Beispiel lernte ich einen Exil-Iraker kennen. Als ich für die legendäre Horngruppe des Nürnberger Staatstheaters eingekauft habe, um ihnen ein israelisches Essen zu kochen, bin ich auf seinen Stand gestoßen. Ich habe eine riesige Bestellung gemacht, und irgendwie, während wir miteinander geredet haben, ist mir ein arabisches Wort ausgerutscht. "Tichki Arabi?" fragte er mich – redest Du arabisch? "Ajwa, sarir srireen" sagte ich ihm. Ja, aber ganz wenig. Von da an sind wir Freunde Geworden – ich habe ihm jedes Mal auf dem Weg in die Oper besucht, und er hat mir die besten Datteln ausgesucht und mit Stolz gesagt, "hier, nimm, sie kommen aus Deiner Heimat." Ich weiß, viele die diese Worte lesen werden sagen, ich sei kindisch und naiv, mir ist das aber Wurst. Ein guter israelischer Freunde sagte, als ich ihm diese Geschichte erzählt habe, "er ist Araber, und nur weil Ihr in Deutschland wart konntet Ihr miteinander reden. Sobald es in Israel gewesen wäre, hätte er Angst vor Dir – und Du vor ihm." Recht hat er. Alle hier haben Angst. Man kann sie regelrecht in der Luft spüren, einatmen, zusammen mit diesem verdammten Staub.
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Liebe Freunde, trotz der Schwere will ich Euch noch ein Mal Alles Gute für das kommende Fest wünschen, ich hoffe, nächstes Jahr wird diese Zeit etwas glücklicher sein.

Ich umarme Euch,

Euer Ofer